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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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gegenseitig auf die Füße traten. Er mochte die Feste nicht, auf die sich alle wie verrückt freuten. Wenn es ihm nicht um den Kubrick gegangen wäre, hätte er sich bestimmt nicht für die Eventvorbereitung gemeldet und auf einer Sackkarre Fässer durch die ­Gegend gerollt.
    Aber jetzt blieben die zweieinhalb Stunden Kubrick auf dem Stick in seiner Tasche, denn auch bei Abramowski waren an diesem Abend Ruhe und Frieden hin, weil ganz offensichtlich die Tenbrock nebenan einen Hund in der Wohnung hatte.
    Sein eigener Hund hatte Abraxus geheißen. Er hatte ihn bei seinen Eltern auf dem Land gelassen, als er die Stelle bei der Stiftung bekam.
    Er war gern in Hainegg gewesen. Sein Großvater hatte das »Capitol« betrieben, ein kleines, aber sehr feines altes Filmtheater, das jahrelang ein Geheimtipp für Cineasten gewesen war. Sein Vater hatte es übernommen, als die Zeit des großen Kinos und der Illusionen schon vorbei war, und Timon war von Kind an einfach so hineingewachsen. Er war wohl Hunderte Male dabei gewesen, wenn sein Großvater in seinem Vorführraum stand, der Projektor surrte vertraut, und der Großvater deutete auf die Leinwand und sagte, das hier, mein Junge, das hier wird einmal dein Gedächtnis. Was für ein Gedächtnis, hatte Timon gesagt, und der Großvater hatte ihm geantwortet, jede Zukunft braucht ein Gedächtnis, und euer Gedächtnis liegt hier.
    Im »Capitol«, hatte Timon ungläubig gefragt.
    In Hainegg, im »Capitol«, hatte der Großvater gesagt.
    Als Timons Vater sich später aus dem »Capitol« zurückzog, dachte Timon nicht daran, es zu schließen. Er dachte an Modernisierung, Digital Cinema war das große Wort, aber dann kamen die Jahre der Wirtschaftskrise, der Unruhen, des Umbaus der Welt, es war weiter bergab gegangen, Timon schlug sich die Anschaffung eines Digitalprojektors aus dem Kopf und machte sich auf die Suche nach Investoren, die es natürlich in Hainegg nicht gab: Die Stiftung hatte die kleinen Städte und Dörfer längst aufgegeben, aber schließlich tat Timon ein paar alte Filmliebhaber auf und gründete einen Förderverein, der das Kino eine Weile eher schlecht als recht am Leben erhielt, solange die Zukunft noch nicht ohne Gedächtnis auskommen mochte.
    Timon Abramowski liebte Hainegg und sein Kino, er hatte einmal im Monat einen Klassiker im Programm, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, oder einen Film, der nur schwer zu bekommen war, »Der silberne Hengst«, »Film ohne Titel«, »Yellow Sky«, den er niemals unter seinem deutschen Titel ins Programm nahm, weil er fand, dass »Herrin der toten Stadt« kein Titel, sondern eine Filmschändung sei; eigentlich bestellte er die Klassiker und Raritäten nicht für sein Publikum, das diese Filme nicht kannte, sondern nur, weil er dann an seinen Großvater dachte, der ihn so oft in seinen verqualmten Vorführraum mit dem surrenden Projektor mitgenommen hatte, als er noch klein war, und er war stolz gewesen, wenn er die Filmdosen auspacken und später dem Opa zum Wechseln anreichen durfte.
    Timon wusste, dass außer ihm schon längst niemand mehr seine Klassiker und Raritäten sehen wollte, trotzdem ärgerte es ihn, dass an diesen Abenden höchstens ein paar vom Förderverein kamen, aber wegen der lächerlichen roten Zahlen, die das »Capitol« schrieb, wäre er nicht auf die Idee gekommen, das Kino, Hainegg, sein Gedächtnis aufzugeben und sich bei der Stiftung zu bewerben.
    Seine Mutter allerdings hatte nicht abwarten ­wollen, bis das »Capitol« bankrott sein würde. Sie hatte hinter Timons Rücken die erforderlichen Unterlagen für die Stiftung zusammengesucht, Timons Zeugnisse, seinen Lebenslauf als erfolgreicher Kinobetreiber; das Gesundheitsattest hatte ihr der alte Doktor Pabst aus Gefälligkeit ausgestellt und zuletzt feierlich seinen Stempel daruntergesetzt. Die Papiere hatte sie mit einem Bewerbungsschreiben in einen Umschlag getan, ohne ihrem Sohn oder ihrem Mann etwas davon zu verraten.
    Auf dem Land gibt es keine Zukunft, hatte sie später gesagt, als Timon zum Vorstellungsgespräch in die Stadt eingeladen worden war, als er zuerst die Stelle nicht wollte, weil er nicht glauben mochte, dass sein Kino, dass Hainegg, dass all die kleinen Städtchen und Dörfer keine Zukunft hatten, und heute wusste er natürlich, dass sie recht gehabt hatte, seine Mutter, kaum
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