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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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unhygienisch riechenden grauen Bündel kamen jetzt Töne. Etwas seufzte, schnaufte und röchelte unmenschlich aus dem Bündel heraus, es machte Töne, die Jule nicht kannte. Endlich wurde es wieder hell im Treppenhaus, Jule wollte nichts weiter, als in ihre Wohnung verschwinden und geschützt sein vor diesem keuchenden Ding auf der Treppe, sie wandte ihm den Rücken zu und versuchte, es einfach nicht gesehen zu haben, aber sie hatte es gesehen, bevor das Licht ausgegangen war, und in ihrem Rücken schnaufte es weiter.
    Und dann fing es an zu sprechen.
    â€™tschuldigung, sagte das Ding. Es hatte eine klare, junge Stimme.
    Jule hielt in ihrer Bewegung inne, sah angestrengt ihre Wohnungstür an und dachte nach.
    Dann drehte sie sich langsam um.
    Oben schaute jetzt ein ungekämmter Kopf mit schwarzen Haaren aus dem Bündel heraus und sagte, ’tschuldigung, aber ich weiß nicht, wo ich hinsoll.
    In der bläulichen Treppenhausbeleuchtung sah Jule, dass das Graue einmal ein Mantel gewesen sein musste, ein sehr großer, uralter, doppelreihig ­geknöpfter Herrenmantel, in dem heute ein weib­liches Wesen steckte. Aus dem Inneren des Mantels schnaufte es weiter. Das Wesen selbst schnaufte nicht, also musste da noch jemand im Mantel stecken.
    Jule schwieg. Das Wesen mit den wirren schwarzen Haaren schlug kurz den Mantel auseinander und sagte, ich und Zsazsa wissen nicht, wo wir hinsollen.
    Das ist ein Hund, sagte Jule entsetzt beim Anblick des schnaufenden Tiers.
    Zsazsa war ein Hund.
    Ja, sagte das Wesen, das ist mein Hund.
    Jule begriff auf der Stelle, dass dieses weibliche Wesen nicht aus dem siebten Distrikt und auch aus keinem der anderen Distrikte kommen konnte.
    Auf dem gesamten städtischen Gebiet waren Tiere nicht zugelassen. Hund, Katze, Maus, gesundheitlich ein Graus.
    Tiere gab es im Tierpark. Jule hatte sich einmal von Clemens dazu überreden lassen, ihre Freizeitsterne für eine Busfahrt in die Erlebnis-Arena zu nutzen. Alle schwärmten von dem magischen Wochenende mit Spiel, Sport und Spaß, und schließlich war sie Clemens zuliebe Autoscooter gefahren, hat­­ te sich auf den Action Tower zerren lassen, in die ­Achterbahn, auf die gigantische Spiralrutsche, und zuletzt hatte auch ein Besuch im Tierpark auf dem Programm ­gestanden, mit der Bäreninsel, den Flamingos, den ­Zebras, einem Giraffenhaus und dem Seelöwenbecken. Die Abteilung Antarktis war geschlossen ge­wesen, weil die Pinguine Malaria hatten. Wie auch immer. Tiere gab es im Tierpark. Und die Erlebnis-Arena war nicht Jules Sache.
    Dieses Wesen jedenfalls, das mitsamt seinem Hund vor Jule Tenbrocks Wohnung im Treppenhaus saß, konnte nicht von hier sein, es musste von draußen kommen.
    Draußen, dachte Jule. Draußen war Detroit.
    Sie spürte, wie sich bei diesem Gedanken das kalte Entsetzen in ihrem Inneren ausbreitete, vom Magen nach oben hochkroch, bis in die Brust, in den Hals.
    Draußen, das waren die ehemaligen Fabrikbezirke um die Stadt herum, die schon vor Jahrzehn­­ ­­ten aufgegeben worden waren, stillgelegt, sich selbst überlassen. Draußen gab es keine Ordnung, keine Stiftung, keinen Fernsehsender, keine Bonuspunk­­ te und -sterne, keinen Telefonservice, das war der gesetzlose Gürtel am Rande der Stadt, das waren ­Kriminelle und Banden, die sich nachts durch die ­verlassenen Straßen trieben, dunkle Gestalten, Zeugnisse einer untergegangenen Zeit, Reste des letzten Jahrhunderts, die längst vom Netz der Gemeinnützigkeit genommen waren.
    Dahinten herrschen Zustände wie im alten Detroit, sagte Clemens, wenn die Medien über die ­Zu­­stände in den vorstädtischen Problemzonen berichteten. Die Nachrichten brachten regelmäßig Schre­­­ckensmeldungen – Häuser wurden geplündert und a bgefackelt, von Prügeleien war die Rede, sogar Schießereien sollte es dort geben, und am bedenklichsten waren die Orgien, die die Banden veranstalteten; sie nahmen gefährliche Substanzen zu sich und fielen übereinander her, die Folge waren, so die Medien, grassierende Krankheiten und die Verbreitung bedrohlicher Seuchen, die nur mit Mühe von den innerstädtischen Distrikten ferngehalten werden konnten.
    Jule wusste nicht so genau, was Detroit war, aber Clemens war mit dem Bus schon mehrmals zu einem seiner Einsätze in den Stiftungslaboren durch den Vorstadtgürtel
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