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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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hatte er Hainegg den Rücken gekehrt, löste der Förderverein sich auf, und das »Capitol« wurde keine zwei Monate später geschlossen; aber damals war er wütend auf seine Mutter gewesen und hatte sich ihre dauernden Übergriffigkeiten verbeten, und noch wütender war er geworden, als ihm sein Vater in den Rücken fiel und auch etwas von der Zukunft murmelte, von den kläglichen Bilanzen des »Capitol«, von der sicheren Stelle bei der Stiftung, während in Hainegg längst alles vorbei sei. Das bröckelt noch ein paar Jahre vor sich hin, hatte der Vater gesagt, und dann kannst du Hainegg vergessen.
    Heute war Hainegg von der Landkarte gestrichen, Timon Abramowski hatte gut daran getan, dem Rat seiner Eltern zu folgen. Aber jetzt, an diesem Oktoberabend, war er wieder in seinem Kino, in der kleinen Stadt seiner Kindheit. Roch er das alte Kino, den Vorführraum, wenn der Projektor heiß wurde und der Qualm sich mit den Zigaretten des Groß­vaters mischte.
    Dann hörte er, wie bei seiner Nachbarin leise die Tür aufgemacht und wieder geschlossen wurde, und abrupt war es aus mit den Algen am Ufer, den Bratkartoffeln und den anderen Gerüchen seiner Kindheit; stattdessen drang die bekannte Duftwolke in Abramowskis Wohnung. Seit Jule Tenbrock in der Wäscherei beschäftigt war, benutzte sie dieses ekelhaft süße Vaporix aus der globaseptischen Produktpalette. Heute war es »Dark Lavender«.
    Abraxus war während der Leptospirose-Epidemie eingeschläfert worden, als Hunde und Katzen in die Seuchenverordnung aufgenommen worden waren. Seine Mutter hatte es ihm geschrieben: Gestern Nachmittag hat Abraxus eine Spritze bekommen und ist friedlich eingeschlafen.
    Abramowski erinnerte sich daran, dass Milos Rahman, mit dem er sich zu der Zeit das Stiftungsbüro im ersten Distrikt teilte, nicht daran geglaubt hatte, dass die mutierte Leptospirose, die aus Nicaragua, den Philippinen, Brasilien eingeschleppt worden sein sollte, der eigentliche Grund für das städtische Haustierverbot gewesen sei.
    Rahman, als er die Verordnung der Public-Health-Agentur durchgelesen hatte, hatte gesagt, da lachen ja die Hühner.
    Er, Abramowski, hatte Rahman gefragt, ob er nicht an die Mutation der Leptospirose glaube, und Rahman hatte langsam gesagt, doch doch, natürlich glaube ich daran, und dabei hatte er mit dem linken Zeigefinger kurz das Augenlid seines linken Auges heruntergezogen.
    Letzten Endes verstanden sie aber beide nicht viel von Leptospirose, so wenig wie später von den Staphylokokken, den Echinokokken, der Ruhr oder den Salmonellen, über die die Hühner dann nicht mehr lachten.
    Abramowski als ehemaliger Kinobesitzer und Rahman waren in der Abteilung Familie und Sozialwesen beschäftigt und dort zuständig für Kinder- und Jugendschutz. Die beiden hatten die Jobs, um die ihre Kollegen sie beneideten: Die sehen sich den lieben langen Tag alte Filme an, sagten die Kollegen, alles Filme, in denen geraucht, gesoffen, gehurt und geflucht wird, und dann brauchen sie nichts weiter zu machen, als bei den Produktionsfirmen anzurufen und durchzusetzen, dass das Rauchen, Saufen, Herumhuren und Fluchen, die ganzen Schweinereien aus den Filmen herausgeschnitten werden, was für ein Job. Freiwillige Selbstkontrolle.
    Seit der Leptospirose-Epidemie wurden auch Hunde und Katzen herausgeschnitten, und seit Abramowski durchgesetzt hatte, dass aus »Frühstück bei Tiffany« der namenlose Kater herausgeschnitten wurde, der immerhin eine tragende Nebenrolle hatte, besaß er eine der letzten Originalfassungen und hatte ein Filmplakat von Audrey Hepburn in seiner Wohnung hängen, eines mit der endlos langen Zigarettenspitze, die irgendwann auch aus dem Film entfernt worden war.
    Mit der Bakteriologie allerdings hatten Abramowski und Rahman nichts zu tun, das war eine Abteilung, die wegen des Gefahrenpotenzials nicht in der Stadt betrieben wurde, sondern ausgelagert war, in die Labore und Forschungszentren, und Abramowski hatte verstanden, dass Rahmann skeptisch war, trotzdem hatte er schließlich beschlossen, an die bakteriologische Abteilung und die mutierte Leptospirose zu glauben, weil er es nicht hätte ertragen können zu denken, dass Abraxus womöglich grundlos eingeschläfert worden war, umsonst gestorben.
    Wenn er sich vorhin nicht geirrt hatte, in den kurzen ekstatischen Augenblicken im Treppenhaus, zwischen dem dritten und vierten
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