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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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überhaupt an einen Hund gekommen sein mochte, rein praktisch war das kaum machbar.
    Eine Weile lang schien ihm denkbar, dass der Typ von der Stiftung dahinterstecken könnte, dieser Hygienemann, weil es in dem Bereich die abwegigsten Beziehungen und Verflechtungen gab, und schließlich, warum sollte ein Hygienetrainer keinen Draht nach oben haben, zur Forschung und den Laboren. Praktisch wäre das machbar: Der Hygienemann selbst oder jemand anderes, der kürzlich einen Einsatz in der experimentellen Infektiologie hatte, greift sich gegen Ende seiner zwei Monate einen Welpen aus dem Labor, gibt ihm ein oder zwei Dormophen, steckt ihn sich in die Mantel- oder Aktentasche, und mit ein bisschen Glück macht der Hund während der zwei Stunden Busfahrt in die Stadt keinen Mucks.
    Rein praktisch wäre das machbar. Nur war das genau die Sorte Film, bei der Abramowski schon früher immer gedacht hatte – wer’s glaubt. Wo leben wir denn. In welcher Zeit leben wir denn.
    Seuchen, Epidemien und Impfungen hatte es zur Genüge gegeben, und nach all den Aufregungen und Public-Health-Alarmen traute Abramowski weder dem Hygienemann noch der Tenbrock zu, dass sie ein Tier in das neue Kuschelig-Wohnen-Leben hineinschmuggeln würden, ein Tier, das voller Keime steckte, so viel globaseptisches Vaporix konnte die Tenbrock gar nicht versprühen. Dazu kam, dass der Hund wahrscheinlich für Forschungszwecke infiziert worden war, sehr wahrscheinlich sogar. Abramowski erinnerte sich an einen Themenabend, in dem Experten auf »Human Care« die Alternativ­losigkeit langfristiger »Animal-Toxicology-Projects« diskutiert hatten und schließlich zu dem Ergebnis gekommen waren, dass Tierversuche bis auf Weiteres in der Reproduktionsforschung unverzichtbar seien, und er war sich ganz sicher: Niemals würde der Hygienemann es riskieren, ein Tier aus einem Testlabor in den siebten Distrikt zu schmuggeln, ob er nun im elften Distrikt zwei Kinder hatte oder auch nicht.
    Blieb nur noch eine Hypothese. Die allerdings verhieß, dass es hier eine Menge Unruhe geben und vielleicht gefährlich werden würde: Der Hund musste durch den Zaun gekommen sein.
    So muss es sein, sagte Timon Abramowski und erschrak, als er in seiner leeren Wohnung seine eigene Stimme hörte, die mit Nachdruck das Unerhörte hörbar machte, wenn auch nur für ihn selbst.
    Draußen in den Vorstädten gab es Tiere. In den Nachrichten brachten sie regelmäßig Berichte über Wildschweine, die dort wüteten, über Waschbären und Füchse, gerüchteweise war von Wölfen die Rede, von Tollwutgefahr und von der Sorge, ob der Zaun einen ausreichenden Schutz gegen wilde Tiere böte.
    Detroit, dachte Timon Abramowski. Der Hund kommt aus Detroit. Und er ist nicht allein.
    Bisher war kein Bär, kein Wolf, kein Wildschwein in irgendeinem Distrikt gesichtet worden, woraus er schloss, dass der Zaun durchaus einen Schutz gegen Tiere bot. Nicht aber gegen Menschen. Menschen mit einem Hund.
    *
    Hätte Pola Nogueira ihren viel zu großen Sack von einem doppelreihig geknöpften uralten Herrenmantel ausgezogen, hätte Jule Tenbrock gesehen, dass sie schwanger war.
    Abramowski sah es sofort, als er im Treppenhaus ihren Mantel aufmachte und darin zusammengesunken eine ohnmächtige junge Frau mit einem honigfarbenen Hund fand.
    Frau mit Hund, das ist es also, sagte er, während er die Frau behutsam und leise in seine Wohnung trug und dort auf die Couch legte.
    Schwangere Frau mit Hund, sagte er, nachdem er den Mantel geöffnet hatte. Dann wandte er sich dem Hund zu, der vor der Couch saß, eine Pfote auf den Arm der Frau gelegt hatte und mit einem leisen Grollen genau verfolgte, was er tat, und sagte zu dem Tier, das kann ja heiter werden.
    Pola hatte in Jule Tenbrocks Wohnung vor dem Sofa auf dem zartgelben Teppich geschlafen, es war ein flacher, unruhiger Schlaf, abwehrbereit, voller Misstrauen, immer nur kurz unter der Oberfläche, weil es im Wald Geräusche gab, weil der Mann mit der Ratte ihr unheimlich gewesen war, auch wenn er wahrscheinlich ein harmloser Spinner und Streuner war, einer, der mit sich selber sprach und seiner Tusnelda absonderliche Reden hielt, verwirrte Verkündigungen, krauses Zeug, aber Zsazsa hatte ihn angeknurrt und war gleichzeitig rückwärts gekrochen, sie hatte Angst vor dem Mann gehabt. Pola hatte ihr gesagt, dass Angst nicht hilft, aber sie selbst
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