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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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war es kalt da oben, dann brachten ­Timon und Jule ihnen noch ein paar zusätzliche Decken zu ihrer Heizdecke dazu, damit es alle beide warm hatten, und nach dem Karnevalsfest in der Meile ging Jule mit Timon in der Nacht zu den Containern, um Polas Vorräte aufzufüllen. Die Zwiebelsamen auf dem Dachboden gingen auf, aber Jule musste nicht bis zur Ernte warten, bis Pola Zwie­belsuppe kochte, sie sah ihr dabei zu, und es war ganz einfach, so einfach wie die Apfelklöße danach. Irgend­wann merkte sie, dass sie schon seit Wochen nicht mehr »Cosy Home« gesehen hatte und dass sie seit dem »Wettbewerb der Kulturen« kein einziges Voting mehr abgegeben hatte. Es war einfach so, dass sie lieber bei Pola Zwiebelsuppe und Apfelklöße kochte, als bei sich unten an der Konsole zu sitzen, es war so, dass sie sich an Pola gewöhnt hatte und jetzt an die kleine Mike, die so winzig und so niedlich war, dass Jule aufpassen musste, in der Wäscherei nicht auszuplaudern, wie drollig es aussah, wenn sie mit ihren Minifingern vor ihrem Gesicht herumfuchtelte.
    Selbst als die Stiftung ein Abschiedsfest für den Chef veranstaltete und es für alle ein Glas Wein gab, hielt sie den Mund, obwohl sie nach einem Glas Wein eigentlich immer ins Plappern geriet.
    Jule Tenbrock dachte nicht so sehr darüber nach, wie es mit Pola und dem Baby weitergehen würde, aber am 6. März wurde ihr klar, dass Pola Nogueira und Timon Abramowski den ganzen Winter lang darüber nachgedacht haben mussten. Am 6. März sah Jule beim Nachhausekommen, dass vor ihrer Wohnungstür der Topf stand, in dem Pola die schwarzen Pünktchen verteilt hatte und aus dem inzwischen Zwiebelgrün wuchs. Unter dem Zwiebeltopf und um ihn herum war das königliche Service gestapelt. Vollständig.
    Pola hatte ihr die vierundzwanzig Teile geschenkt, die Jule eigentlich bei Kabel 7 hatte gewinnen wollen, wegen des Candle-Light-Dinners, an das sie schon lange nicht mehr dachte. So wenig wie an »Cosy Home«.
    Die restlichen Teile des Geschirrs hatten Timon und Pola oben auf dem Dachboden für sich gebraucht. Und jetzt brauchten sie sie nicht mehr und hatten sie vor Jules Tür gestellt.
    Jule trug alles vorsichtig in die Wohnung und fing an zu zählen. Sie zählte wie im Reflex, ohne zu denken und ohne irgendeine Regung, es war rein automatisch, und als sie bei sechsundfünfzig war, hörte sie plötzlich auf, weil sie daran denken musste, wie sie Pola und Timon beim Oktoberfest in der Meile gesehen hatte, zu dritt, obwohl der Hund damals gar nicht in der Meile gewesen war, aber auf dem Bild hatte sie sie alle drei gesehen. Links den Mann, in der Mitte die Frau und rechts von der Frau den Hund. Sie hatte sie von hinten gesehen, also war das Kind nicht mit auf dem Bild gewesen, aber jetzt wusste Jule, dass sie Mike bei sich hatten, als sie weggegangen waren. Sie sah sie langsam zum Zaun gehen, ganz langsam, und schließlich waren sie durch den Zaun hindurch und verschwunden.
    Jule zählte noch bis sechsundneunzig weiter und dachte, dass sie das Geschirr wahrscheinlich in ihrer Vitrine gar nicht unterbringen könnte. Selbst wenn sie all den Plunder, den sie darin aufbewahrte, wegwerfen würde, könnte es sein, dass der Platz für das königliche Geschirr nicht reichte. Handpainted since 1775. Sie überlegte, ob die Punkte auf ihrer Di-Card für die Anschaffung einer größeren Vitrine reichen würden, und mitten in diese Überlegungen hinein hörte sie ihre eigene Stimme, wie sie laut und vernehmlich sagte,
    Das wüsste ich aber doch jetzt gern, ob das möglich wäre: Liebe ganz ohne Gefahr.
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