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Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman
Autoren: Reber Sabine
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Prolog
    Du hättest dich nicht gefürchtet wie ich. Du bist ein Vogel, und ich sterbe vor Flugangst. Immer wieder ertappe ich mich dabei, von dir in der Gegenwart zu denken, Linda. Ich spreche mit dir, ich rede dich an, als ob du noch unter uns wärst. Mein Herz rast, mein Atem stockt. Mein Rücken ist steif vor Angst. Dreißig Jahre lang habe ich das Fliegen umgehen können. Und jetzt sitze ich in einer Boeing 737 und rase durch den Himmel. Es gibt kein Entrinnen, die nächsten zwei Stunden bin ich hier eingesperrt. So gerne ich Auto fahre, so sehr ich die Bewegung brauche, so sehr fürchte ich mich davor, mit Hunderten anderer Passagiere in eine Blechkiste gepfercht zu sein. Solange ich am Steuer bin, fühle ich mich sicher. Dann habe ich mein Schicksal in der Hand. Ich gebe Gas, ich bremse. Ich steige ein, wann ich will, und ich steige aus, wann ich will. Aber diesmal gibt es kein Ausweichen. Mit schweißnassen Händen umklammere ich die Tasche mit der Urne. Jemand muss deine Asche nach Irland bringen, das muss ich tun, das bin ich dir schuldig. Wir hatten deine Leiche in die Schweiz überführen lassen, weil du in Irland kaum Bekannte hattest, und in Bern eine kleine Zeremonie abgehalten. Aus Irland war nur Pat gekommen, der sich als euer bester Freund vorstellte und Daniel entschuldigte, er sei nicht in der Lage gewesen, den Flug anzutreten. Nun will ich hören, was Daniel mir mitzuteilen hat.
    Ich esse ein Stück Brot, hatte er gesagt, ein simpler Satz, der mir die Sprache verschlug. Meine Schwester ist tot, und er isst Brot, der Reim leierte noch tagelang durch meinen Kopf, wurde zum Mantra meiner Trauer.
    Daniel kaute viel zu laut, das mahlende Geräusch seiner Zähne hallte durch die Telefonleitung. Der halbe Atlantik zwischen uns, und es klang, wie wenn er mir gegenüber am Küchentisch sitzen und kauen würde, als gelte es, das Universum zu zermalmen zwischen seinen schlechten Zähnen.
    Was ist das, hatte ich gefragt.
    Brot, hatte er geantwortet. Ich esse Brot. Was dagegen?
    Ich biss mir auf die Zunge. Aus der Fassung gebracht von seiner Taktlosigkeit und zugleich fasziniert, mich fragend, wie ein Mensch so unverschämt sein konnte.
    Ich sah ihn vor mir, anmaßend, verwegen und schön. Ich hätte ihn zeichnen können, sein Gesicht hatte sich mir eingeprägt wie kaum je ein anderes, seine dunklen Augen, die hohe, faltenlose Stirn. Er hatte eine unglaubliche Art zu gehen, leicht und zugleich entschlossen, als schwebe er über den Wolken, die ihm zu gehören schienen wie die Welt. Ich sah seinen Körper, schlank und feingliedrig und doch erstaunlich kräftig. Von Anfang an war ich fasziniert gewesen von ihm. Wie er damals aus dem Cottage getreten war, wie er mir direkt in die Augen geschaut hatte, genau mich zu meinen schien und niemand anderen sonst. Hier bin ich, hier und jetzt. Und ich rede mit dir. Mit dir! Er hatte eine Art, mit den Menschen zu sprechen, er konnte sie sofort für sich gewinnen, die Leute erzählten ihm alles, sie beichteten ihm, sie schütteten ihm ihr Herz aus. Er hatte eine Art, Fragen zu stellen, eindringlich und doch diskret, er zeigte ein aufrichtiges Interesse, wie ein Spürhund suchte er nach verschütteten Lebensgeschichten. Wer auch immer mit ihm am Tisch saß, spätestens bei der zweiten Flasche Rotwein begann er von sich zu erzählen.
    Damals, als ich euch zum ersten Mal in Irland besucht hatte, hatte ich Markus noch nicht gekannt. Stundenlang war ich bei Daniel im Schuppen gestanden, in meinen unzweckmäßig hohen Schuhen, hatte gefröstelt in dünnen Strümpfen und mich doch nicht aus seiner Gegenwart lösen können. Aber Daniel hatte nur Augen gehabt für dich. Und für seine Möbel und Motoren. Er sah meine feinen Strümpfe nicht und die halsbrecherischen Absätze, er hatte nur Augen für die Zündung, die er gerade ausbaute. Er ließ mich das Innenleben seiner Maschinen bestaunen und zeigte mir, wie man eine alte Obstpresse instand setzte. Ich bewunderte seine Hände. Er ging sehr sorgfältig um mit seinem Werkzeug, ich sah ihm zu, wie er schraubte und ölte, wie er Riemen nachzog und Teile einbaute.
    Daniel hatte gelacht über unsere Schuhe. Wir hatten beide eine Vorliebe für unzweckmäßige Fußbekleidung gehabt. Er hatte dich seine hochhackige Amsel genannt. Er hatte dich Flamingo und Storch und Bachstelze genannt, je nachdem, was du gerade für Schuhe trugst.
    Zwischen der Ferse einer Frau und dem Erdboden gibt es so viel Raum, mit dem man etwas anfangen kann,
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