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Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)

Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)

Titel: Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
Autoren: Rebecca Michéle
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1. KAPITEL
    »Einer Waise stehen nur zwei Wege offen, ein anständiges Leben zu führen«, hatte Schwester Agnes gesagt. »Entweder sie heiratet einen einfachen, strebsamen Mann, oder sie sucht sich eine Anstellung, die ihren Fähigkeiten angemessen ist.«
Als ich an meinem einundzwanzigsten Geburtstag das Arbeitshaus für immer verließ, befand ich mich auf dem zweiten Weg, hauptsächlich deshalb, weil ich wohl nie die Gelegenheit haben würde, den ersten auszuprobieren. In der rechten Hand trug ich einen mittelgroßen Koffer aus abgewetztem Leder, der meine wenigen Habseligkeiten enthielt: einen dunkelbraunen Rock aus derbem Wollstoff, eine einfache graue Bluse, zwei Garnituren Unterwäsche und ein etwas besseres Kleid, das ich die letzten zwei Jahre beim sonntäglichen Kirchgang getragen hatte. Mein drittes und damit letztes Kleidungsstück, ein dunkelblaues, schlichtes Kleid mit einem eierschalenfarbenen Spitzenkragen, hatte ich angezogen, denn ich war auf dem Weg zu meiner ersten festen Anstellung. Ein Empfehlungsschreiben von Harriet Channing, der Vorsteherin des Arbeitshauses, bewahrte ich neben meiner Geburtsurkunde in dem Stoffbeutel auf, den ich mit der linken Hand umklammerte.
Lucille Hardy, geboren am 6. Februar 1876 als Tochter der Witwe Verity Hardy im Arbeitshaus Half-Moon-Alley, London.
Weiter unten war in einer anderen Handschrift wie in großer Eile hinzugefügt worden:
Verity Hardy verstarb drei Tage nach der Geburt.
Das war alles, was ich über meine Herkunft wusste. Die Urkunde wies meine Mutter als Witwe aus, doch wer mein Vater gewesen und wie er ums Leben gekommen war, darüber gab es keine Informationen, ebenso wenig, aus welcher sozialen Schicht meine Eltern stammten. Einzig, dass ich in dem Jahr, als Königin Viktoria zur Kaiserin von Indien gekrönt worden war, das Licht der Welt erblickte, erfüllte mich ein wenig mit Stolz.
»Deine Eltern waren auf jeden Fall sehr arme Leute«, meinte Schwester Agnes, als ich sie auf die Geburtsurkunde ansprach. »In einem Arbeitshaus suchen nur solche Menschen Zuflucht, die sonst elend am Straßenrand verhungern würden.«
So wurde das Arbeitshaus im Kirchspiel von St. Mary-le-Bow, inmitten der Londoner City, mein Zuhause. Die Aufsicht oblag der besagten Kirche, und wir sprachen die Betreuerinnen mit »Schwester« an, obwohl sie keine Nonnen waren. Seit der Reformation unter König Heinrich VIII. im sechzehnten Jahrhundert gab es keine Klöster mehr. Selbstverständlich wurde ich nach den strengen Regeln der viktorianischen Moral und der englischen Kirche erzogen. Das Arbeitshaus stand unter der Leitung von Hochwürden Dickens, dem Pfarrer für das gesamte Kirchspiel. Seinen schwabbeligen Wangen und der roten Nase nach zu schließen, war er selbst der beste Konsument des Messweins. Jeden Samstagnachmittag inspizierte er an der Seite von Harriet Channing das Arbeitshaus. Wir mussten uns dann alle in eine Reihe stellen und unaufgefordert die Hände nach vorne strecken. Hochwürden achtete sehr auf Sauberkeit, wehe denjenigen, bei denen er Dreck unter den Fingernägeln fand! Ich habe einmal einen Jungen in einer eiskalten Winternacht draußen die Steinplatten schrubben sehen, einzig aus dem Grund, weil er hingefallen war und dabei seine Hände beschmutzt hatte. Hochwürden Dickens besaß eine hohe Meinung von seiner amtlichen Wichtigkeit! Harriet Channing oblag die Oberaufsicht im Haus. Keiner wusste etwas über ihre Herkunft, aber es schien, als hätte sie ihr ganzes Leben hier verbracht. Wie alt sie eigentlich war, wusste niemand. Ihr hageres Gesicht mit den eingefallenen Wangen und das dünne, mit grauen Strähnen durchsetzte Haar machten sie seltsam alterslos. Sie war stets in Schwarz gekleidet. Hier eiferte sie wohl der Königin nach, die seit dem Tod ihres Gemahls ihre schwarzen Gewänder nicht mehr ablegte. Bei Mrs. Channing allerdings wurde nie etwas von einem eventuell existierenden Gemahl erwähnt.
Das Arbeitshaus war ein weitläufiges Gebäude aus georgianischer Zeit, einst das Stadthaus eines Regierungsbeamten. Wir Mädchen hielten uns im Westflügel auf, während die Jungen im Ostflügel untergebracht waren. Es gab zwischen den Geschlechtern so gut wie kein Zusammentreffen, darauf achteten die Schwestern streng. Das Arbeitshaus beherbergte etwa zwanzig Mädchen. Wir schliefen alle in einem großen, im Winter zugigen Saal. Wenn ich abends in meinem Bett lag und die Vorhänge darum herum geschlossen hatte, fühlte ich mich wie auf einer
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