Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
Vom Netzwerk:
Wüste wohnen, sagte er, jetzt nicht mehr in dem eigenartig getragenen Ton seiner vorherigen Litanei und nicht mehr zu der Ratte auf seiner Schulter, sondern er spulte den Satz automatisch ab, als wolle er nur noch rasch und mechanisch einen Gedanken zu Ende bringen, den er längst kannte, dabei hob er einen Arm und eilte winkend auf Timon zu.
    Und Gerechtigkeit auf dem Acker hausen, sagte er noch abschließend an seine Schulter hin und dann zu Abramowski: Auch du auf dem Berge Karmel. Willkommen auf dem Berg Karmel, mein alter Freund.
    Zsazsa wich ängstlich bis an den Mirabellenbaum zurück, als der Mann näher kam. Abramowski sah, wie sie mit dem Hinterteil Moos von der Borke schabte, aber sie knurrte nicht.
    *
    Es war Timons Idee gewesen, Jule Tenbrock mit Porzellan zu bestechen, es war auch Timons Idee, Regine Novak einzuladen, die im elften Distrikt gewohnt hatte, als ihr Kind noch klein war. Regine hatte beim Hausarzt von Timons Eltern gearbeitet und war jetzt im Klinik-Distrikt beschäftigt. Vielleicht könnte sie Pola einen Rat geben und gemeinsam mit ihnen überlegen, wie es weiterginge. Vielleicht könnte Pola in einem Krankenhaus entbinden.
    Ich kann das Kind nicht hier draußen kriegen, hatte sie gesagt, als Isabella wieder einmal davon gesprochen hatte, dass es mit ein paar Frauen in der Gegend leichter sei, weil man bei Männern ohne Frauen nie wissen könne.
    Inzwischen hatten Pola und Timon mit dem Handbohrer zweimal in Balken gebohrt, aber dann schließlich beim dritten Versuch endlich eine Öffnung in Timons Badezimmer zustande gebracht.
    Bevor sie die Verlängerungsschnur zu Pola auf den Dachboden gelegt hatten, war Pola noch einmal besorgt gewesen.
    Merkt denn niemand am Stromverbrauch, dass da jetzt mehr dranhängt als die Konsole, die Mikrowelle und dein Rasierer, hatte sie gefragt, aber Timon hatte abgewinkt.
    Siehst du hier irgendwo einen Stromzähler, hatte er gesagt.
    Pola hatte gesagt, nein, aber.
    Oder kannst du in der Meile auch nur ein einziges Elektrogerät bekommen? Nicht mal für fünftausend Punkte. Glaub mir, das braucht hier keiner.
    Ich schon, hatte Pola gesagt.
    Sie hatten die Öffnung gebohrt, die Verlängerungsschnur nach oben gelegt, Pola hatte Licht, sie hatte ein paar Bücher aus der Villa mitgenommen, und beim nächsten Fest im Distrikt würde es wieder eine »Cooking Corner« geben, in der ein Hygienebeauftragter Essen anbrennen lassen und gruselige Geschichten über die Unfallgefahr und die mangelnde Lebensmittelsicherheit in den gefährlichen alten Zeiten erzählen würde.
    Abramowski war gespannt, was beim nächsten Fest anbrennen würde. Pola hatte eine Kochplatte.
    Nach dem Essen trugen sie die Pfanne oder den Topf, das Besteck und die schönen Teller mit dem Muschelmuster zu Timon hinunter und erledigten, so leise sie konnten, den Abwasch.
    Das Leben im siebten Distrikt war sonderbar, fand Pola. Niemand zählte den Strom, niemand kümmerte sich darum, dass bei Abramowski neuerdings Wasser für zwei verbraucht wurde.
    Siehst du hier eine Wasseruhr, hatte Abramowski gesagt, als Pola beunruhigt gewesen war.
    Manchmal überlegte sie, wie sie das Leben im siebten Distrikt gefunden hätte, wenn sie eine dieser Di-Karten gehabt hätte. Vielleicht hätte sie sich daran gewöhnt. Vielleicht hätte sie es sogar gemocht.
    Vielleicht, sagte sie sich, war es begreiflich, dass die Leute zufrieden waren, weil sie sich jetzt um gar nichts mehr sorgen mussten. Die Welt war jahrelang im Schockzustand gewesen.
    Als Pola noch ein Kind gewesen war und es noch staatliches Fernsehen gegeben hatte, hatte ihre Großmutter abends die Nachrichten angestellt, und Pola erinnerte sich noch daran, es waren grässliche Bilder gewesen.
    So muss Krieg sein, hatte sie oft gesagt, aber Matilde hatte nur den Kopf geschüttelt. Krieg ist immer gegen die anderen, hatte sie gesagt, aber das hier, das geht gegen die eigenen Leute. Polas Großeltern waren aus Portugal weggegangen, als es dort anfing, gegen die eigenen Leute zu gehen, sie waren in die Bergarbeitersiedlung in Klein-Camen gezogen, in der auf der einen Seite der Straße die polnischen ­Arbeiter mit ihren Familien wohnten und auf der ­anderen Seite die Portugiesen, Matilde hatte einen Nussbaum gepflanzt. Sie sagte nie »Nussbaum« zu diesem Nussbaum, aber sehr oft sagte sie, wo meine Nogueira wächst, bin ich daheim. Polas Eltern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher