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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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wurde etwas über den Boden geschoben, gezogen, geschleift oder plötzlich aufgesetzt, einmal fiel ihnen etwas runter, irgendein Gegenstand aus Metall, und es kam vor, dass sie alle Vorsicht vergaßen und kurz einmal kicherten oder lachten.
    Eine Weile fand Jule es merkwürdig, dass es im Treppenhaus nicht nach dem Hund roch, aber dann dachte sie, dass sie sich wahrscheinlich an den Geruch des Hundes längst gewöhnt hatte.
    Geruchsgewöhnung ist eine Tücke bei der Hy­gieneausübung, darauf hatte Clemens in seinem Seminar hingewiesen und gesagt, dass man sich leider auch an unangenehme Gerüche gewöhnen könne, zum Beispiel an den Eigengeruch nach einer sport­lichen Betätigung.
    Wem die Körperpflege nicht zum Reflex geworden ist, hatte er gesagt, der wird schnell einsam.
    In der Wäscherei wurde wegen der Geruchsgewöhnung im Zweiwochenturnus die Duftspülung gewechselt, also vermutete Jule, dass die vergangenen zwei Wochen ausgereicht hatten, um ihre Nase an den Hundegeruch zu gewöhnen.
    Als sie am Montagmorgen den sechsten Teller fand, hatte sie kurz den Impuls, einfach bei Abramowski zu klingeln und ihn zur Rede zu stellen, aber etwas hielt sie davon ab.
    Sie dachte an »Cosy Home« und das Luminose-Service mit dem Klatschmohndekor und überlegte, ob das königlich dänische Porzellan womöglich auch zu einem 24-teiligen Service gehörte. In diesem Fall wäre das heute der letzte Speiseteller gewesen, ab morgen würde sie vor ihrer Tür Abend für Abend ­einen Suppenteller, eine Tasse oder eine Untertasse finden. Handpainted since 1775. Vielleicht gehörten auch noch andere Teile zu dem Service, eine Kaffeekanne, eine Zuckerdose vielleicht.
    Jule Tenbrock beschloss, dass sie keine Lust hatte, sich in anderer Leute Leben einzumischen.
    An diesem Montag ging sie in die Hall of Sports und meldete sich zum Rock-’n’-Roll-Kurs an. Den Termin fürs Body Sugaring und einen für den Friseur sagte sie ab. Die Punkte dafür könnte sie gut fürs Tanzen brauchen.
    Als sie am späten Nachmittag beschwingt nach Hause kam, stand ein Suppenteller vor ihrer Tür.
    *
    Hat der auch einen Namen, der Irre, hatte Timon Abramowski gefragt, bevor er in die Mendelssohnstraße gegangen war, um dort Birnen zu ernten.
    Keine Ahnung, hatte Pinkus gesagt, der spricht nicht mit jedem. Nur mit seiner Tusnelda.
    Und wer ist diese Tusnelda, hatte Abramowski gefragt.
    Seine Ratte, hatte Pinkus gesagt. Trägt er überall mit sich rum. Sitzt ihm die ganze Zeit auf der Schulter. Wahrscheinlich ist er harmlos, aber man weiß es nicht so genau.
    Und wo wohnt er, hatte Abramowski gefragt.
    Der wohnt nicht, der streunt durch die Gegend und hält wirre Reden.
    Zwi Benda, hatte Abramowski gedacht. Der kleine Zwi Benda aus Hainegg, hochbegabt und exzentrisch und jetzt offenbar endgültig durchgeknallt.
    In der Mendelssohnstraße gab es mehrere Birnbäume. Die Früchte waren allesamt wurmstichig oder von Vögeln angefressen, und so sammelte Timon halbherzig ein paar überreife Mirabellen unter einem verwilderten Baum auf, sie waren schon etwas matschig, aber Pola würden sie trotzdem eine Freude machen.
    Tatsächlich wartete er auf Zwi.
    Zsazsa bemerkte ihn zuerst. Sie schnupperte aufgeregt in die Richtung, aus der er kam, wedelte nervös mit dem Schwanz, richtete sich dann auf und stellte über den ganzen Rücken ihr Fell auf.
    Dann hörte Timon Abramowski Bruchstücke, Satzfetzen, einen seltsamen Singsang, eine Litanei und sah den Mann in einem schmutzigen schwarzen Mantel:
    â€¦Â klagen um die Äcker, hörte er, ja um die lieb­lichen Äcker, um die fruchtbaren Weinstöcke, wuchern auf dem Acker meines Volkes Dornen und Hecken, dazu über allen Häusern der Freude in der fröhlichen Stadt.
    Was sage ich da, Tusnelda, so eine fröhliche Stadt, einfach überwuchert, die Paläste sind verlassen, und die Stadt, die voll Getümmel war, ist einsam, die Türme und Häuser ewige Höhlen und dem Wild zur Freude, vielmehr zum Fraß, den Herden zur Weide. Wird langsam Zeit, sagte Zwi, dass über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe, dass allmählich mal wieder diese Wüste zu Acker wird und der Acker wie ein Wald geachtet. Der Acker wie der Wald, was meinst du, meine Kleine. Achtung. Respekt.
    Zwi Benda machte eine Pause. Er hatte Timon Abramowski gesehen.
    Und das Recht wird in der
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