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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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waren weggegangen, als es in Klein-Camen anfing, gegen die eigenen Leute zu gehen.
    Sie haben dich immer lieb, hatte Matilde gesagt, als Pola anfangs vor dem Einschlafen oft geweint hatte, weil ihre Eltern sie im Stich gelassen hatten.
    Sie denken jeden Tag an dich.
    Und wenn Pola sagte, so muss Krieg sein, sagte Matilde, das ist die Armut, der Hunger, und denk daran, dass es für deine Eltern bitter ist, ohne ihr Mädchen leben zu müssen, glaub mir, sie wären lieber zu Hause und würden sich freuen, wie ihre kleine Nogueira gewachsen ist, wie groß sie schon ist.
    Manchmal holte sie die Postkarten, die Polas Eltern ein paar Jahre lang geschrieben hatten, bis die Post in Klein-Camen dicht gemacht worden war, und die Postkarten lenkten Pola von den Bildern im Fern­sehen ab, den Aufständen, den Straßenkämpfen, der Armee, die gegen die Menschen vorging, ­gegen Menschen, die in Pappkartons übernachteten und nichts zu essen hatten.
    So gesehen, war es sicher begreiflich, dass sich die Leute mit ihren Di-Karten hier im siebten Distrikt gut aufgehoben fühlten, es war ein ruhiges und friedvolles Leben.
    Vielleicht, dachte Pola manchmal, hätte sie so ein Leben gemocht, wenn sie sich rechtzeitig hätte ­registrieren lassen und jetzt eine Di-Card hätte. Aber sie konnte es nicht wissen, weil sie ja keine Di-Card und daher trotz ihrer Kochplatte und der Heizdecke eine gewaltige Menge Sorgen hatte.
    *
    Jule Tenbrock verspürte nicht die geringste Lust, sich in anderer Leute Leben zu mischen, aber es kam der Abend, an dem sie sich dazu entschloss. Sie tat das nicht gern, aber sie hatte das Gefühl, sich dazu entschließen zu müssen.
    Sie hatte bereits drei königlich-dänische Suppenteller in ihrer Vitrine und hätte gern abgewartet, wie die Porzellanlieferung weitergehen würde, aber wenn sie jetzt nicht intervenierte, würde diese Lieferung in Gefahr geraten, denn in Gefahr wäre vor allem die Frau mit dem Hund, die über ihr wohnte.
    Jule hatte sich einen Blaubeersaft angerührt, eine Origami-Box vom Chinesen in der Meile gegönnt und »Feeling alive« angestellt. Die Sendung wurde von Mal zu Mal schlechter, stellte sie fest. Die aufwendig gemachten Berichte von Fallschirmsprüngen und -kunststücken, von Climbing- und Bungee­rekorden wurden allmählich von einem lahmen Gesundheitsformat verdrängt.
    Und nun, liebe Zuschauer, kommen wir zu unserem Staying-alive-Service, sagte die Moderatorin schon fünf Minuten nach Beginn der Show. Früher war der Staying-alive-Service kurz vor Schluss gekommen, und Jule hatte brav die Gymnastik vor dem Bildschirm mitgemacht, aber wenn das jetzt das Einzige war, was sie in »Feeling alive« noch brachten, würde sie der Show demnächst per Fernbedienung die Quote drücken, anstatt auf Kommando fast eine halbe Stunde vor der Konsole herumzuturnen.
    In der Wäscherei herrschte gedrückte Stimmung, weil Franz Mering wieder ein Schreiben von der Stiftung bekommen hatte.
    Diesmal hatte es kein Meeting gegeben.
    Ist was, Chef, hatte Yvi Schallermann gefragt, als Mering, die Hände auf dem Rücken gefaltet, im Sturmschritt in ihr Büro gekommen war.
    Was soll sein, hatte Mering gesagt.
    Im Büro war er einige Male auf und ab gelaufen und wollte dann ohne ein Wort wieder hinausstürmen.
    Plötzlich drehte er sich um und sagte, also gut, wenn Sie’s genau wissen wollen: Erst drücken sie mir die Gebäudereinigung auf, demnächst wahrscheinlich den Gartenbau, aber das jetzt geht zu weit.
    Weder Yvi noch Jule hatten gefragt, was jetzt zu weit ginge.
    Mering hatte eine Pause gemacht, und dann war es aus ihm herausgeplatzt. Mit mir nicht, hatte er gesagt, ich bin Chemiker. Ich war schon Chemiker, bevor die Stiftung ihre Labore da draußen hatte. Und so viel ist mal sicher: Mit Pheromonen spielt man nicht.
    Ist ja gut, Chef, hatte Yvi gesagt, als sie sah, dass Mering vor Zorn im Gesicht bläulich anlief.
    Oh nein, sagte er. Nichts ist gut. Ich weiß doch, was die in ihren Laboren so treiben. Das können sie denen von der Kosmetik aufdrücken, in ihre Deos und Sonnencremes, meinetwegen in ihr idiotisches Vaporix, aber das machen die nicht mit mir. Nicht in meine Spülung.
    Wissen Sie, was das ist, sagte er zu den beiden Frauen, eine Hyposmie, das Kallmann-Syndrom. Nein, das wissen Sie nicht.
    Danach hatte er nichts mehr gesagt, sondern war stumm und zornbebend noch
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