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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Einleitung
    Doch nichts mehr von Natur.
    Ein hold ergötzend Mährchen ist’s der Kindheit,
    Der Menschheit von den Dichtern, ihrer Amme,
    Erzählt.  Kleist, FAMILIE SCHROFFENSTEIN
     
    Dieses Buch handelt von meinem Garten und allem, was darin ist. Nicht mehr und nicht weniger. Mein Garten liegt hinter dem Haus, nach Südwesten hin. Er ist nicht sehr groß. Als der Hund unser Kaninchen gejagt hat, waren es nur ein paar Sprünge bis zum Gestrüpp am Maschendrahtzaun. Dahinter liegen andere Gärten. Das Kaninchen ist nie zurückgekommen und wir haben auch nie mehr irgendwelche Spuren von ihm gefunden, oder Überreste. Ich habe viele Wochen, eigentlich bis zum Einbruch des nächsten Winters, damit gerechnet, zwischen den Brettern und Steinen und Werkzeugen, die dort hinten am Zaun liegen und zwischen denen sich das Laub sammelt, irgendwann auf das Fell des erlegten Tieres zu stoßen. Oder auf seine Knochen. Wir haben unserem Sohn gesagt, das Tier sei ausgewandert, um an einem anderen Ort glücklich zu werden, mit vielen kleinen Kaninchen. Und dann haben wir ein neues gekauft und ihm denselben Namen gegeben. Aber das erste Kaninchen haben wir nie vergessen, sondern wir reden immer noch von ihm, und eigentlich gehört es weiterhin zu diesem Garten. Das gilt auch für den Pflaumenbaum, den ich gefällt habe. Oder für die Eibe, die dem Teich gewichen ist. Oder für den schmalen Weg aus Schieferplatten und alten Ziegeln, den ich vor Jahren hinten rechts angelegt habe und den die Gärtner abgeräumt haben, als sie das Hochbeet bauten, auf dem nun die Ligusterhecke wächst. Alles, was hier mal war, ist hier immer noch.
     
    Im Ernst. Das ist eine interessante Beobachtung. Alles hat seinen Platz, auch wenn es ihn gegenwärtig nicht einnimmt.
    Es gibt so etwas wie eine Gartenzeit, in der die Unterschiede zwischen Gegenwart und Vergangenheit nicht so wichtig sind. Die Bilder überlagern sich und die Zustände, die Jahreszeiten, die Lebenszeiten, die Bewegungen und die Stillstände. Das hängt mit dem Raum zusammen, dem Gartenraum, der voller Erinnerungen ist, der begrenzt ist, und darum erfahrbar. Der Garten ist ein Ort der Langsamkeit. Die Überschaubarkeit im Raum bringt mit sich eine Überschaubarkeit in der Zeit. »Nach 2000 Jahren Pflege wird mein Rasen recht annehmbar sein, denke ich«, sagt der Brite, der bei ASTERIX UND OBELIX mit einer finger-großen Sichel den letzten Halm Unkraut aus seiner makellosen Grünfläche entfernt. Im Garten sind tausend Jahre wie ein Tag, wenigstens im übertragenen Sinne. Es fallen Vergangenheit und Zukunft in einer andauernden Gegenwart zusammen. Das erlebt man nicht oft.
    Draußen befördert Beschleunigung das Vergessen und drinnen die Langsamkeit die Erinnerung. Man arbeitet im Garten auch für die Erinnerung.
     
    Es dauert 19 Sekunden, diesen Garten in der Länge und 12 Sekunden ihn in der Breite abzuschreiten. Das ist, wie gesagt, nicht sehr groß. Aber was heißt schon groß und klein? Nehmen wir die Erde. Die Erde misst ungefähr 510 Millionen Quadratkilometer. Der Garten dagegen nicht mehr als 1400 Quadratmeter. Das bedeutet, der Garten ist 364.285.714.285.714.29-mal kleiner als die Erde. Aber er hat, im Gegensatz zur Erde, den großen Vorteil der Überschaubarkeit.
     
    »Wenn Sie einen Garten, einen Teich lange Zeit und gewissenhaft beobachten, werden Sie mehr leisten, als wenn Sie im Fluge die ganze Welt durchziehen«
     
    hat Professor Alwin Voigt gesagt, ein Mann der auch heute noch einen gewissen Ruf hat, wenigstens in ornithologisch bewanderten Kreisen. Voigt hat seinerzeit, also zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, Bahnbrechendes auf einem Gebiet geleistet, auf dem nicht gerade wissenschaftliches Gedrängel herrscht. Es handelt sich um jenen schmalen Zweig der Forschung, der zwischen Musikwissenschaft und Vogelkunde austreibt. Voigt hat sich mit der Zuordnung und Notierung von Vogelstimmen befasst. Voigt konnte sich ganz gut vorstellen, was passiert, wenn man über die Dinge so im Fluge hinwegweht, und dass das zwar für Vögel eine angemessene Art der Welterfahrung sein mochte, aber nicht für Menschen. Die Dinge verschwimmen dann nämlich, man sieht nur aus großer Entfernung noch klar und der Blick für das Einzelne geht verloren. Das sind die Kennzeichen einer eiligen Epoche, für die Goethe, sehr früh, das hübsche Wort »veloziferisch« geprägt hat.
     
    Das ist eine Weile her. Im Vergleich zu heute herrschte damals Stillstand. Aber die Beschleunigung hört
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