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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Autoren: Carl Hanser Verlag
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den Tiefenschichten der gärtnerischen Existenz die ständig fließende Grenze zwischen Natur und Kultur auszuloten. Außerdem kommen einem beim Graben manchmal die besten Ideen. Mit denen lässt sich dann auch etwas anfangen, draußen, in der Welt, vor dem Gartenzaun.

     

 
Herbst
     

 
     
     
     
    » F rederick, warum arbeitest Du nicht?«, fragten sie.
    »Ich arbeite doch«, sagte F rederick, »ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.«
    Leo Lionni, FREDERICK
     
Pläne
     
    Östlich von Berlin, im Buckower Land, das von den zurückweichenden Gletschern jener Phase des Pleistozän geprägt wurde, die wir hier Weichsel-Kaltzeit nennen, liegt der Schermützelsee. Von Bäumen umstanden, in einer Landschaft aus Schmelzwasserrinnen, Mooren und Söllen. Wir wollen das mit der Erdgeschichte nicht übertreiben: Aber was hätte aus Norddeutschland ohne die landschaffenden Kräfte des Pleistozän werden können, das bekanntlich erst vor 9660 Jahren endete und hinter dem das uns umgebende Land im Wesentlichen flach zurückblieb? Ein paar Seen hier und da, Urstromtäler, Geestrücken. Es ist ein stilles Land, nicht ohne Reiz, aber doch kein Vergleich mit den sanften Hügeln und trägen Tälern der langgestreckten Mittelgebirge und erst recht nicht mit den überraschenden Hängen und schattigen Senken der südlichen Vorgebirge. Die norddeutsche Tiefebene findet ihre eigentliche Erfüllung darin, Platz für die ungeheuer weiten Himmel darüber zu machen. Es gibt hier nicht viel zu sehen. Allerdings wenn im Herbst die Abendsonne noch einmal unter den dunklen Wolken hervorkommt und wenn die Wälder dann mit ihrem lila Leuchten anfangen und die Felder in ein sonderbares Strahlen geraten, dann sollte man mal vorbeikommen, wenn man in der Gegend ist. Oder wenn am frühen Wintermorgen im grünen Licht der Kälte nebelige Milchstreifen ungefähr fünf Meter über dem Boden hängen und darunter der Frost in den schrägen Strahlen der aufgehenden Sonne glitzert. Das ist auch nicht so schlecht. Es gibt Gegenden, die kommen ganz gut ohne Himmel aus. Und dann gibt es Norddeutschland, das offenbar vor allem den Zweck erfüllt, dem Himmel und seinem Licht jede denkbare Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben.
    Da liegt also dieser Schermützelsee. An seinem Ufer steht ein Haus und in dem Haus wurde ein Gedicht geschrieben, das geht so:
     
    Am See, tief zwischen Tann und Silberpappel
    Beschirmt von Mauer und Gesträuch ein Garten
    So weise angelegt mit monatlichen Blumen
    Daß er vom März bis zum Oktober blüht.
     
    Hier, in der Früh, nicht allzu häufig, sitz ich
    Und wünsche mir, auch ich mög allezeit
    In den verschiedenen Wettern, guten, schlechten
    Dies oder jenes Angenehme zeigen.
     
    Glücklicherweise ist der Gärtner kein Germanist und muss nicht entscheiden, ob diese Buckower Bukolik nun Alterslyrik ist oder politische Lyrik oder was Brecht sich sonst dabei gedacht hat in den Wochen nach dem 17. Juni 1953, der keiner geringen Zahl von Ostdeutschen den Tod oder das Gefängnis einbrachte und den Westdeutschen einen Feiertag, dieses und andere Gedichte zu schreiben, in seinem Sommerhaus, unweit Berlins, den Schermützelsee vor Augen. Aber wir haben gesagt, dass der Mensch eben manchmal nur Gärtner ist. Und um wie vieles mehr gilt das für den Dichter, der eben auch nicht immer Revolutionär sein mag. Glücklicherweise, möchte man hinzufügen. Denn es geht einem die Didaktik von Brechts epischem Theater doch ziemlich auf die Nerven, während beispielsweise die Poesie der Hauspostille uns ganz erfasst, vor allem die Gedichte der dritten Lektion, »zu durchblättern«, wie Brecht in der Anleitung schreibt, »in den Zeiten der rohen Naturgewalten (Regengüsse, Schneefälle, Bankerotte usw.)«.
    Man braucht also, um einen Garten so anzulegen, »daß er vom März bis zum Oktober blüht«, einen Plan. »Weise angelegt« ist der Garten dann, sagt Brecht. Da hat dann einer nachgedacht und das sieht man, das zeigt sich. Wenn die Blütezeiten der Blumen aufeinanderfolgen, wenn die Formen und Farben der Grünpflanzen zueinanderpassen, wenn die Stauden sich in Größe und Wuchs nicht in den Weg kommen, wenn der Raum in seiner Tiefe und in seiner Höhe, wenn das Licht und der Boden und die Feuchtigkeit und der Wind, wenn also alle Faktoren und Einflüsse und Bedingungen, die für Gestalt und Gesundheit und Charakter des Gartens eine Rolle spielen, wohlüberlegt und gestaltet und gegeneinander abgewogen sind,
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