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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Strukturen haben, von denen Sie ausgehen können.
     
    Also schaffen Sie sich Strukturen! Gärten sind im Ganzen eine suburbane Angelegenheit, machen wir uns nichts vor. Sie werden es selten mit parkähnlichen Grundstücken zu tun bekommen. Dennoch ist es auch im Garten hilfreich, sich am Prinzip der Sichtachse zu orientieren, das in der Gestaltung großräumiger Landschaften üblich ist. Diese Achse beschreibt die bevorzugte Blicklinie, die, was auch immer dem planenden Kopf das Wesentliche war, besonders zur Geltung kommen lässt. Das Wesentliche ist im Wörlitzer Landschaftsgarten des Fürsten von Anhalt-Dessau etwas anderes als im barocken Schlosspark Nymphenburg des Franzosen Dominique Girard und in Ihrem Garten wird es auch etwas anderes sein. Aber es empfiehlt sich, im Garten so ein Wesentliches zu haben. Wenigstens eins. Im Laufe der Zeit können Sie noch weiteres hinzufügen. Aber am Anfang genügt es, sich auf einen Aspekt zu konzentrieren. Die Wand eines am Rande liegenden Schuppens? Ein großer Stein am Kopfende des Teichs? Die zufällig entstehende Flucht der Stämme einiger Waldkiefern, die über die Nachbargrundstücke und die Straße hinausläuft? Es wird irgendeinen Punkt geben, den der Gärtner besonders schätzt, einen Blickwinkel, der ihm besonders lieb ist. Und es wird einen besonderen Ort geben, von dem aus der Garten erfahren wird: Das Arbeitszimmer im ersten Stock. Das große Wohnzimmerfenster. Die Bank hinter dem Haus. Die hölzerne Laube am Rand. Die Stühle um den Tisch auf der Terrasse. Ziehen Sie zwischen diesen Punkten eine Linie, vom Sofa zu dem Delta, das sich hinten links zwischen den Wipfeln der Eiche und der Rotbuche ergibt, oder vom Schreibtisch zum rotlackierten Pfosten der Pergola des Geräteschuppens. Fangen Sie Ihre Planung entlang dieser Linie an. Das hilft ungemein.
    Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie es im Garten unter anderem mit den zwei Aspekten unserer Wirklichkeit zu tun haben, Raum und Zeit, die sich in vier Dimensionen erschließen. Die Sichtachsen geben dem Raum eine Struktur in der Tiefe. Höhe und Ausdehnung wird von den Pflanzen bestimmt, für die sich der Gärtner entscheidet. Und die Pflanzenfolge über das Gartenjahr hin gibt der Zeit eine Struktur. »Von März bis Oktober«, wie Brecht schreibt, ist dabei noch gar nicht mal so anspruchsvoll. Bis November, Dezember mag es schon Blüten geben in unseren Gärten und in Wahrheit kann der Gärtner es so lange blühen lassen, bis der Frost dazwischenkommt. Der berühmte Potsdamer Staudengärtner und Gartenphilosoph Karl Förster hat seinem Naturbetrachtungsbuch sogar den Titel es wird durchgeblüht gegeben – eine preußische Aufforderung an die versammelten Bataillone der Blumen und Sträucher, der aber strenggenommen in unseren Breiten keine Pflanze nachkommen kann. Und die von Förster geliebten Rittersporne schon gar nicht, deren Charakter in ganzem Gegensatz zu ihrem markigen Namen steht, da sie zum Umkippen neigen. Vollkommen überschätzte Pflanzen sind das. Und ein Festessen für Schnecken. Ein Rat am Rande: Lassen Sie bloß die Finger vom Rittersporn!
     
    Aber Vorsicht: Man kann sich verlieren in diesen Planungen. Der Garten kann zur Obsession werden.
     
    Seine derzeitige und künftige Gestalt, seine Ausdehnung und Beschaffenheit, sein Licht, sein Geruch, der ganze Reichtum seiner Eindrücke, all das kann sich zu einem alles andere verdrängenden, unerwartet dominant werdenden Oberton verdichten. Ihre Ansprüche und Fragen, Ihr Wollen und Rätseln. Die Farben und Größen und Zeiten und Materialien und die Namen. Vor allem die Namen. Es kann sein, dass Sie nachts aufwachen und bibbernd feststellen, dass Sie schon wieder vergessen haben, ob beim Geranium die Art mit den leuchtend blauen Blüten nun himalayense heißt oder dalmaticum . Oder dass Sie sich schlaflos wälzen, weil sie plötzlich fürchten, dass Sie es beim Mulchen übertrieben haben könnten und der Weg Ihrer Päonien ans Licht im kommenden Jahr so weit sein könnte, dass leider die Blüte ausfällt, so sind sie nämlich, die Päonien.
    Mit einem Wort: Der Garten kann einen wahnsinnig machen. Sind Sie dem gewachsen? Und dabei ist hier noch nicht die Rede von der dauernden, nie nachlassenden Verpflichtung. Denn wenn die Phase der Planung und des Aufbaus hinter Ihnen liegt, sind Sie ja nicht durch mit der Sache. Von wegen. Dann beginnt der lange mühsame Weg der Ebene. Niemals nachlassen. Immer gießen und mähen und harken und belüften und
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