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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ja nicht auf. »Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden«, hat Heine geschrieben, als das Zeitalter der Eisenbahn anbrach. Aber ihre echte Auflösung haben Raum und Zeit bekanntlich erst im Digitalen gefunden. Um so schöner, dass Raum und Zeit im Garten noch völlig in Ordnung sind. Man könnte sogar sagen: Die ganze Welt ist im Garten noch in Ordnung. Das ist natürlich Unsinn. Aber ein willkommener.
     
    Das war jetzt eben ein wichtiges Wort: Ordnung. Es geht im Garten um Ordnung. Wenn das nicht so wäre, könnte der Gärtner einpacken. Er stemmt sich mit seiner Arbeit gegen die Unordnung, gegen die Auflösung, gegen den Zerfall, gegen die gleichmäßige Streuung aller Teile im Raum, im Gartenraum, also gegen die Entropie.
    Entropie ist das Maß an Unordnung in einem System. Die maximale Entropie bedeutet die gleichmäßige Streuung aller Teile. Das ist der Zustand, den die Dinge einnehmen, wenn man sie sich selbst überlässt. Sie geraten dann erst in Unordnung und finden dann zu ihrer eigenen Ordnung zurück. Das ist philosophisch gesehen ganz hübsch, gärtnerisch ist es eine Katastrophe: Die Lysimachia clethroides überwuchert das neben ihr stehende Sedum, das Sedum, das seinem deutschen Namen Fetthenne im Laufe des Gartensommers immer mehr Ehre macht, zerfällt von der Mitte her nach allen Seiten und drückt das Geranium platt, das Geranium wuchert in die Hortensie hinein, der Farn franst an den Rändern aus, die Beete verlieren ihre Konturen, die Rasenkanten verwaschen und so weiter. Ich will gar nicht erst davon anfangen, was geschieht, wenn Sie dem Giersch nicht regelmäßig Einhalt gebieten. Außerdem liegen Werk- und Spielzeuge überall herum, der Teich versumpft und wenn es im August drei Wochen nicht regnet, ist alles vertrocknet und tot und aus und vorbei. Keine einzige meiner Gartenpflanzen würde in unserem Klima von allein übers Jahr kommen. Keine einzige würde in meinem Garten überhaupt wachsen, wenn ich nicht wäre. Und ohne mich löst sich alles auf und stirbt.
     
    Sie befinden sich also als Gärtner in einem steten Ringen um Ordnung. Vergessen Sie das Gerede von der Natürlichkeit der Gärten. Ein Garten ist kein natürlicher Ort, sondern ein künstlicher. Er ist Produkt menschlicher Arbeit, nicht natürlicher Fügung. Die Natur mag idyllisch sein. Aber nicht auf kleinem Raum.
     
    Eine Idylle auf 200 Quadratmetern ist nur auf Kosten der Natur herstellbar und im Kampf gegen sie. Das ist die Wahrheit.
     
    Andererseits ist der Garten eine Zone des Übergangs. Menschliche und natürliche Ordnung gehen ineinander über. Der ideale Garten, der mir vorschwebt, müsste ein solcher sein: Das Haus als Zentrum menschlicher Ordnung befindet sich in der Mitte, und mit steigender Entfernung vom Haus nimmt der natürliche Charakter der Umgebung zu: Ein geometrischer Kräutergarten grenzt an Terrassen mit Rabatten, die zu sanft geschwungenen Staudenbeeten hinführen, an die sich eine parkähnliche Landschaft anschließt, hinter der die Felder beginnen oder der Wald. Man bräuchte dafür ein Grundstück in einer Größe von ungefähr 20.000 Quadratmetern. Das habe ich nicht. Aber es geht auch kleiner.
     
    Davon handelt dieses Buch. Unter anderem.
     
    Es wird um Igel und Schnecken gehen und um Zwiebeln und Stauden und Statuen und Bäume und Menschen – ja, die gibt es auch, ganz ohne Menschen kommt der Garten nicht aus – und um Rosen und Beile und Harken und Fische und Wasser und Erde und Staub und natürlich um Laufenten, die Laufenten vor allem sind für den Garten, um den es hier geht, von großer Bedeutung.
     
    Es gibt ja Leute, die meinen, ein Gespräch über Laufenten sei gleichsam ein Verbrechen, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließe. Das ist für ein Gartenbuch natürlich ein schwerwiegender Vorwurf. Da muss es gleich in die Knie gehen und sich geschlagen geben: Ja, es ist wahr, ich handele nicht von der Erlösung der Menschheit. Sondern nur von einem kleinen Garten, einem unbedeutenden Stück Land. Aber, liebe Leser, so schnell geben wir die Schaufel nicht ab. O nein, manchmal ist der Mensch eben nur Gärtner. Und der Gärtner trägt bei zur Ordnung im höheren Sinne. Es manifestiert sich in seinem stillen Wirken die Würde der Arbeit. Der Mensch bedenkt seinen Platz in der Welt auch nicht viel anders als ich meinen Platz in meinem Garten. In kleinerem Maßstab, unter zugegeben suburbanen Umständen. Gleichwohl. Auch im Vorort gilt es, in
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