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Skandal

Titel: Skandal
Autoren: Amanda Quick
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    Die Tochter war der Schlüssel für seine Rache. Das war ihm jetzt schon seit Monaten klar. Durch sie würde er Rache an dem gesamten Faringdon-Clan üben, denn von den vier Männern, die ihm für das, was sich vor dreiundzwanzig Jahren zugetragen hatte, etwas schuldig waren, schuldete ihm Broderick Faringdon mit Abstand das meiste.
    Sie war das Mittel, mit dem er sein Geburtsrecht wieder an sich bringen und denjenigen bestrafen würde, der es ihm gestohlen hatte.
    Simon Augustus Traherne, der Earl of Blade, hielt seinen großen Braunen, einen Hengst, in einer Gruppe von unbelaubten Ulmen an und blieb stumm sitzen, als er das große Haus anstarrte. Seit dreiundzwanzig Jahren hatte er St. Clair Hall nicht mehr gesehen, doch seinen grüblerischen Blicken schien es nahezu unverändert; es sah noch fast genauso aus wie an dem Tag, an dem er von dort fortgegangen war.
    Das gleißende Licht einer spätwinterlichen Sonne verlieh den steinernen Mauern des Herrenhauses den kalten Schimmer von grauem Marmor. Der Landsitz war auf eine spröde Art anmutig, war keineswegs ein weitläufiges architektonisches Wirrwarr wie so viele vergleichbare Güter. Es war im palladianischen Stil erbaut worden, der im letzten Jahrhundert populär gewesen war, und es strahlte eine ernste und zurückhaltende Würde aus.
    Das Haus war nicht so klotzig wie manche andere, doch in jeder einzelnen Linie drückte sich eine unerschütterliche, wenn auch frostige Eleganz aus, von den hohen stattlichen Fenstern bis hin zu der breiten Treppe, die zum vorderen Haupteingang führte.
    Während sich das Haus nicht verändert hatte, hatte sich die Land-
    schaft, in der es stand, enorm verändert, wie Simon jetzt bemerkte. Fort waren sie, die herben weiten Ausblicke auf endlose strenge grüne Rasenflächen, die nur gelegentlich durch einen klassischen Brunnen aufgelockert wurden. An ihrer Stelle waren jetzt Blumengärten angelegt worden.
    Eine ganze Menge Blumengärten.
    Offensichtlich hatte hier jemand seiner ungezügelten Blumenleidenschaft nachgegeben.
    Sogar noch mitten im Winter war die dämpfende Wirkung auf die Strenge des Hauses nicht zu übersehen. Im Frühjahr und im Sommer würden sich die kalten grauen Mauern der St. Clair Hall inmitten eines warmen Durcheinanders von leuchtend bunten Blumen erheben, von üppigen Rankengewächsen und bizarr zurechtgeschnittenen Hecken.
    Es war einfach lächerlich. Das Herrenhaus war nie ein Gebäude von der warmen und einladenden Sorte gewesen. Es hätte nicht von fröhlich bunten Gärten und Hecken umgeben sein dürfen, die zu albernen Formen gestutzt waren. Simon hatte so eine Ahnung. Er glaubte zu wissen, wer für diese unerhörte Landschaftsgestaltung verantwortlich war.
    Der Braune tänzelte unruhig. Geistesabwesend tätschelte der Earl mit einer Hand, die in einem Lederhandschuh steckte, den Nacken des Hengstes. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, Lapsung«, murmelte er dem Pferd zu, während er die Zügel straffte. »Ich werde dieses Pack schon bald aus dem Haus gegrault haben, diese Schurken von Faringdons. Nach dreiundzwanzig Jahren werde ich mich endlich rächen.«
    Und die Tochter war der Schlüssel.
    Es war nicht etwa so, daß Miss Emily Faringdon ein unschuldiges kleines Mädchen war, das gerade erst die Schule hinter sich gebracht hatte. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, und nach Angaben seiner Gastgeberin Lady Gillingham war sich die junge Frau durchaus bewußt, daß ihre Chancen, eine gute Partie zu machen, äußerst gering waren. Er hatte ein paar verschleierte Andeutungen gehört, die auf eine Art von Skandal in der Vergangenheit der Dame hinwiesen, einen Skandal, der jede Hoffnung auf eine achtbare Verbindung zunichte gemacht hatte.
    Dieser Umstand machte Emily Faringdon enorm nützlich.
    Simon bemerkte, daß er, nachdem er so viele Jahre in Südostasien verbracht hatte, nicht mehr ganz so wie ein Engländer dachte. Tatsächlich warfen ihm seine Freunde und Bekannten oft vor, er sei exzentrisch und mysteriös.
    Vielleicht stimmte das sogar. Rache beispielsweise war für ihn nicht mehr nur eine simple und direkte Angelegenheit, sondern etwas, worauf man außerordentliche Sorgfalt und Planung verwenden mußte. Nach östlicher Sitte war hierzu die Vernichtung einer ganzen Familie erforderlich, nicht nur der Niedergang eines einzelnen Familienmitglieds.
    Ein anständiger englischer Gentleman von adliger Geburt wäre im Traum nicht auf den Gedanken gekommen, bei seinem Trachten nach Rache eine
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