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Die Frau mit dem Hund

Die Frau mit dem Hund

Titel: Die Frau mit dem Hund
Autoren: Birgit Vanderbeke
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erreicht hatte, die längst vom Netz genommen und großenteils zerfallen waren.
    Pola hatte fast vergessen, was eine richtige Wohnung ist. Zuletzt hatte sie im Geräteschuppen einer Villa gewohnt, deren Türen und Fenster vernagelt waren, wahrscheinlich hatten die Besitzer die Bretter angebracht, als sie einer nach dem anderen das Villenviertel aufgegeben und geglaubt hatten, eines Tages wieder zurückkommen zu können. Einige Villen waren aufgebrochen, hier und da waren ein paar inzwischen wieder bewohnt. Die meisten Villen aber in der Gegend, in der Pola untergekrochen war, standen geplündert sperrangelweit offen und waren tot. Nichts als alte Häusergerippe, durch die der Wind hindurchfegte.
    Neben Pola wohnten Isabella und Pinkus, Einzelgänger, die nicht in die ehemaligen Neubaugebiete ziehen mochten, wo mehr los war, aber manchmal nahmen sie Pola mit, wenn am Grillplatz die großen Feuer brannten, und Pola fühlte sich sicherer, wenn sie mit Isabella und Pinkus ging, allein hätte sie nicht in die Neubaugebiete gehen mögen, in denen kaum Frauen lebten. Nicht dass sie Angst gehabt hätte, Angst hilft nicht. Aber Zsazsa hatte seit der ­Sache auf den Feldern schreckliche Angst vor Männern.
    Jetzt war Pola zum ersten Mal wieder in einer richtigen lebenden Wohnung mit sauberen cremefarbenen Sesseln, die genau zu einem cremefarbenen Sofa passten, auf dem die Bewohnerin in aller Ruhe lesen könnte, Musik hören, fernsehen, es gab Lichtschalter, Steckdosen, Strom, aus der Leitung kam fließendes Wasser. Und das alles schüchterte Pola nach den vergangenen Monaten etwas ein, also drückte sie sich noch im Eingangsbereich herum und wagte sich nicht in den Raum mit dem sauberen flauschigen Teppich.
    Da fragte Jule Tenbrock plötzlich in Polas Andacht hinein nach ihrer Di-Card.
    Was für eine Karte, sagte Pola.
    Ihre Distrikt-Card, sagte Jule. Ihre Registrierung.
    Was für ein Distrikt.
    Der siebte, sagte Jule, wir sind hier im siebten ­Distrikt.
    Di-Card ist nicht, sagte Pola und schüttelte den Kopf mit den wirren schwarzen Haaren.
    Jule Tenbrock warf einen Blick auf Zsazsa und sagte, das dachte ich mir.
    Danach entstand eine kleine Pause, in der sie überlegte, ob sie die Leptospirose-Epidemie erwähnen sollte. Jedes Kind wusste, dass die mutierte Leptospirose Tausende Todesopfer gefordert hatte. Sie war nach den Stürmen aus Nicaragua, den Philippinen, Brasilien eingeschleppt worden, hatte sich in nordwestlicher Richtung rasend verbreitet und war nur durch die neue Seuchenverordnung vom Stadtgebiet fernzuhalten gewesen. Hund, Katze, Maus. Das hatte Jule Tenbrock wie jedes Kind schon in der Pflichtschule gelernt, aber die Frau mit dem Hund hatte offenbar die Pflichtschule nicht besucht, jedenfalls nicht im siebten Distrikt, und wo sie herkam, wusste man womöglich nichts von der Lepto­spirose und ihren Folgen, man wusste es nicht oder hatte es wieder vergessen. Jule Tenbrock beschloss, dass es sinnlos war, davon jetzt zu sprechen.
    Pola verfolgte auf dem Gesicht ihrer Gastgeberin, wie diese mit sich kämpfte, sie konnte die widerstreitenden Empfindungen nicht entschlüsseln, umso überraschter war sie dann, als Jule sich schließlich trotz ihres inneren Widerstrebens überwand und ihr die Hand gab.
    Ich bin Jule Tenbrock, sagte sie.
    Anschließend verschwand sie in ihrem Badezimmer, um sich die Hände zu waschen.
    Als sie wieder zurückkam, sagte sie, und wer sind Sie, so ganz ohne Di-Card.
    Pola Nogueira, sagte Pola, und Zsazsa kennen Sie ja schon. Auch keine Distrikt-Karte.
    Sie bluten ja. Sie sind verletzt, sagte Jule und zeigte auf Polas Stirn.
    Ist bloß ein Kratzer, sagte Pola und strich mit dem Finger darüber, um zu zeigen, dass die Wunde schon verschorft war, aber Jule schüttelte den Kopf und murmelte kaum hörbar etwas von Infektion und dass das versorgt werden müsse.
    Ich hol rasch das Polyhexanid, sagte sie und verschwand noch einmal im Bad.
    Pola war entmutigt. Unter Versorgung hätte sie sich etwas zu essen und zu trinken vorgestellt, eine Dusche und dann vielleicht ein Bett, aber Jule Tenbrock bestand auf dem antibakteriellen Mittel, dessen Namen Pola nicht kannte, und als das Pflaster klebte, sagte Jule, über die ganze Aufregung haben wir jetzt die Show verpasst. Ist diesmal nichts mit dem Luminose-Service. Schade.
    Was für eine Show und was für ein Service, fragte Pola.
    Jule zeigte auf die
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