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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen
Autoren: Christine Béchar
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    Nie hätte ich mich für so verletzlich gehalten. Als ich Antoine und Melanie Hand in Hand sah, war das wie ein Schlag ins Gesicht. Klar, wir waren am Samstag nicht gerade im Guten auseinander gegangen, und schließlich war ich diejenige, die gemeint hatte, es sei vorbei. Aber trotzdem! Sich gleich auf meine beste Freundin zu stürzen? Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.
    Wieso hatte ich mich überhaupt auf ihn eingelassen? Ich hätte mir von Anfang an denken können, dass es ein Fehler war. Man sollte nie mit einem Kumpel rummachen. Jetzt hatte ich den Salat und gehörte nicht mehr zur Clique. Jerome und Thomas hatten zwar versucht, mich zu trösten; mir war aber sofort klar: Sie würden niemals ihre Freundschaft mit Antoine aufs Spiel setzen.
    Und jetzt hat Antoine auch noch die Frechheit, mit Melanie auszugehen … Melanie, meine beste Freundin! Ich hätte vor Wut schreien können.
    So verloren hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Vier Jahre, um genau zu sein … So lange war meine Mutter jetzt schon fort. Warum musste sie uns verlassen? Die Tränen stiegen mir plötzlich in die Augen, und ich konnte einfach nicht dagegen ankämpfen. Je mehr ich versuchte, sie zu unterdrücken, desto mehr flossen sie. Ich eilte nach Hause, ehe mich jemand so sah. Niemand sollte glauben, ich würde wegen Antoine heulen. Er war mir sowas von egal … aber die Clique nicht … und auf Melanie war ich mächtig sauer. Als hätte sie nur darauf gewartet, sich an seinen Hals werfen zu können. Aber keiner von den beiden hätte mich so treffen können. Die Tränen waren erst gekommen, als ich an meine Mutter gedacht hatte. Wenn ich traurig war oder Kummer hatte, fehlte sie mir am meisten. In solchen Momenten wünschte ich mir, sie würde mich in ihre Arme nehmen. Sie fand immer die richtigen Worte, um mir Trost zu schenken. Ihre sanfte Stimme fehlte mir, ihr Lächeln fehlte mir, ihr verständnisvoller Blick fehlte mir, SIE fehlte mir.
     
    Endlich zu Hause war ich erleichtert: Die Tür war abgeschlossen. Weder mein Vater noch meine Schwester würden mir über den Weg laufen. Ich rannte auf mein Zimmer, nahm dabei gleich zwei Stufen auf einmal, warf mich auf mein Bett und vergrub meinen Kopf im Kissen. Endlich konnte ich mich gehenlassen. Sobald ich meine Tränen nicht mehr unterdrückte, ließ der Druck in meiner Brust nach. Wie so oft, wenn es mir schlecht ging, griff ich nach dem Stein an meiner Halskette, und wie so oft fühlte ich, wie sich Wärme in mir ausbreitete. Ich atmete tief ein und aus, schluchzte ein letztes Mal, und beruhigte mich langsam wieder. Ein Sprung ins Bad, um die Spuren meines Kummers zu beseitigen. Das war leichter gesagt als getan. Meine Augen sahen rot und geschwollen aus. Na ja, meiner Stute würde das nichts ausmachen … und Reiten würde mir jetzt guttun.
    Ehe ich unser Haus verließ, holte ich einen Apfel aus der Küche, und begab mich zum benachbarten Pferdestall. Kaum war ich am Zaun vorbei, nahm ich eine Gestalt wahr. Der schwarze lockige Haarschopf konnte nur Manuel gehören. Da ich auf jegliche Unterhaltung verzichten konnte, hoffte ich, er würde mich nicht sehen. Weit gefehlt. Bald stand er mit einem strahlenden Lächeln in seinem braungebrannten Gesicht vor mir. Dies verschwand jedoch sehr schnell, schließlich war er nicht blind.
    „ Ist was passiert?“
    „ Alles in Ordnung … Ich musste nur an meine Mutter denken. Reiten wird mich auf andere Gedanken bringen.“
    „ Aquila wird sich freuen, sie wird langsam ungeduldig. Ich wollte sie gerade aus der Box holen.“
    Er strahlte wieder. Da meine Antwort jedoch nur aus einem dürftigen Kopfnicken bestand, wandte er sich zum Gehen. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um, und meinte zögernd: „Du weißt, dass ich immer für dich da bin, falls du jemanden zum Reden brauchst.“
    „ Ich weiß, danke!“
    Dabei spürte ich einen Stich in meinem Herz. Vermutlich das schlechte Gewissen. Seit beinahe einem Jahr hatten wir nicht mehr richtig miteinander geredet, und das, obwohl er einst mein bester Freund gewesen war. Von einem Tag auf den anderen hatte ich ihn einfach fallen lassen … wie eine heiße Kartoffel. Natürlich sahen wir uns nach wie vor jeden Tag, meine Stute hatte ja eine Box im Stall seiner Eltern … Es war aber nicht mehr das Gleiche. Die Vertrautheit war verschwunden. Sein großes unwiderstehliches Lächeln war fast vollständig verschwunden. Vor allem in den letzten sechs Monaten
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