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Im Morgengrauen

Im Morgengrauen

Titel: Im Morgengrauen
Autoren: Christine Béchar
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Langsam machte sich Hunger bemerkbar. Ich hatte ja gar nicht gefrühstückt. Selbst wenn … ich bezweifelte, dass eine Scheibe Brot am Morgen irgendeinen Unterschied gemacht hätte. Mein Magen knurrte schon. Da ich nichts hatte, um ihn zu beruhigen, und mich die Ereignisse ermüdet hatten, beschloss ich, die Sache zu überschlafen. Insgeheim hoffte ich, das Ganze wäre nur ein Traum … Bald würde ich in meinem Bett aufwachen.
     

    Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Entweder war dies der längste Traum meines Lebens oder ich musste mich damit abfinden: Ich würde den Rest meiner Tage in der Haut eines Löwen verbringen. Dieser Gedanke ließ mich erschaudern. Ich konnte doch nicht ewig in diesem Wald bleiben! Und wovon sollte ich mich bitte schön ernähren? Abwechselnd quälten mich Entsetzen, Schauder, Langeweile und Hunger. Meine Familie fehlte mir, und eine wahnsinnige Verzweiflung überkam mich, wenn ich nur daran dachte, dass ich sie vielleicht nie mehr sehen würde. Ein paar Schritte hätten mir gut getan. Ich hatte das Bedürfnis, mich zu strecken, traute mich jedoch nicht vom Fleck. Ab und an hörte ich Jogger oder Spaziergänger. Sogar ein kleiner schnüffelnder Hund hatte mich besucht. Der stinkende Köter hatte die Frechheit besessen, mich anzubellen. Ein leichtes Knurren und ein weit aufgerissenes Maul hatten gereicht, um ihn mit ängstlichem Geheul in die Flucht zu schlagen. So viel war sicher, er würde nicht wiederkommen. Schade! Mir war gerade eine Mahlzeit entgangen. Langsam wurde ich zynisch. In Wirklichkeit dachte ich jedoch nicht ernsthaft darüber nach. Ganz im Gegenteil: Der Gedanke an rohes Fleisch machte mich krank. Wenn es so weiterging, würde ich noch Vegetarierin werden. Lächerlich! Ein Fleischfresser, der nur Gemüse aß. Damit würde sich meine Lebenserwartung drastisch verkürzen. Die Tatsache, dass ich weiterhin wie ein Mensch dachte, fand ich sehr beruhigend. Es ließ mich hoffen, dass diese Verwandlung nicht unwiderruflich war. Meine Familie fehlte mir so sehr. Eins stand fest, nach Einbruch der Dunkelheit würde ich mich nach Hause schleichen.
    Gut, dass ich wieder eingedöst war. So kam mein Magen zur Ruhe und die Zeit verging schneller. Die Finsternis des Waldes hatte etwas Beruhigendes. Ich war verblüfft, wie gut ich alles erkennen konnte. Natürlich hatte ich immer gewusst, dass Katzen nachts sehen können, ich fand es trotzdem überwältigend. Diese Wahrnehmung hatte etwas Magisches an sich. Vor allem war ich glücklich darüber, dass ich endlich aufstehen konnte, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Mein Magen knurrte wieder und ich fragte mich, ob ich mich von Abfällen ernähren sollte, verwarf aber diesen Gedanken sehr schnell. Es war an der Zeit, auf direktem Weg nach Hause zu gehen.
    Bald konnte ich unsere Villa entdecken. Es bedurfte keiner Katzenaugen, denn das gesamte Erdgeschoss war voll beleuchtet. Je näher ich meinem trauten Heim kam, desto heftiger schlug mein Herz. Zögernd riskierte ich einen Blick in das Wohnzimmer. Marie saß auf dem Schoß meines Vaters auf dem Sofa. Der fixierte das Telefon, als versuchte er, es zu hypnotisieren. Der Kopf meiner Schwester lag an seiner Brust. Mit einer Hand streichelte er ihr Haar, mit der anderen hielt er sie fest, als fürchtete er, er könnte sie verlieren. Seine Augen waren leer und doch voller Verzweiflung. Manuels Mutter war auch da. Sie lief Nägel kauend hin und her. Ihr langes schwarzes Haar, das sonst immer gebunden war, trug sie offen, als hätte sie keine Zeit gehabt, es zu kämmen. Die Sorgen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Nie zuvor hatte ich sie so gesehen. Für mich war sie immer die Ruhe selbst gewesen. Ihr Anblick wühlte mich ebenfalls auf. Was hätte ich gegeben, dort reinmarschieren zu können und sie in meine Arme zu schließen. Leider hatte ich nur noch Pfoten. Bei meinem Anblick würden sie sofort in Panik geraten, und die Polizei rufen. Wie konnte ich ihnen verständlich machen, dass ich es war?
    Alle Türen, die zu der großen Terrasse führten, waren offen, auch die zur Küche. Ich ging in den Garten zurück und machte einen großen Bogen, um unbemerkt in das Haus zu gelangen. Schnell lief ich die Treppe hoch und schlich in mein Zimmer. Endlich daheim. Dennoch ließ die Angst, entdeckt zu werden, mein Herz rasen. Im Dunkeln ging ich wieder zum Spiegel, um mich zu betrachten, und versuchte alles, was am Morgen geschehen war, Revue passieren zu lassen. Mein Blick fiel
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