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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition)
Autoren: Albert Cohen
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I

    Er stieg vom Pferd und ging vorbei an den Haselnusssträuchern und Heckenrosen, gefolgt von den beiden Pferden, die der Stallbursche an den Zügeln führte, ging in der raschelnden Stille, mit nacktem Oberkörper in der Mittagssonne, ging und lächelte, seltsam, königlich und siegesbewusst. Zweimal, gestern und vorgestern, war er feige gewesen und hatte es nicht gewagt. Heute, an diesem ersten Maitag, würde er es wagen, und sie würde ihn lieben.
    In dem Wald, in dem die Sonne ihre Lichtflecken verstreute, dem reglosen, urzeitliche Schrecken bergenden Wald, ging er vorbei am Geflecht des Geästs, schön und nicht weniger edel als sein Vorfahr Aaron, Bruder des Moses, ging, plötzlich auflachend und wie der närrischste Menschensohn sich gebärdend, lachend vor strahlender Jugend und Verliebtheit, plötzlich eine Blume pflückend und hineinbeißend, plötzlich tanzend, ein hoher Herr in hohen Stiefeln, tanzend und lachend in der gleißenden Sonne, die durch die Zweige brach, anmutig tanzend, gefolgt von den beiden artigen Tieren, tanzend im Liebes- und Siegesrausch, während seine Untertanen und Geschöpfe des Waldes ihren sorglosen Beschäftigungen nachgingen, entzückende Eidechsen, die ihr Leben unter den geblätterten Sonnenschirmen der großen Pilze lebten, goldschimmernde Fliegen, die geometrische Figuren in die Luft zeichneten, Spinnen, die aus den rosa Heidebüschen auftauchten und Rüsselkäfer mit ihren vorsintflutlichen Rüsseln beobachteten, Ameisen, die einander betasteten, Losungen austauschten und dann wieder zu ihren einsamen Beschäftigungen zurückkehrten, Spechte, welche die Bäume abklopften, vereinsamte Kröten, die ihre Sehnsucht quakten, Grillen, die schüchtern zirpten, Käuze, die, unverhofft erwacht, schrien.
    Er blieb stehen, und nachdem er dem Stallburschen liebevoll die Schulter geküsst hatte, nahm er ihm den Koffer für sein Vorhaben ab und befahl ihm, die Zügel an einen Ast zu binden und auf ihn zu warten, so lange auf ihn zu warten, wie es nötig sein würde, bis zum Abend oder noch länger, auf ihn zu warten bis zum Pfiff. »Und sobald du den Pfiff hörst, bringst du mir die Pferde, und dann, bei meiner Ehre, wirst du so viel Geld haben, wie du nur willst! Denn was ich jetzt wagen werde, hat kein Mann je gewagt, merke es dir, kein Mann, seit die Welt besteht! Ja, Bruder, alles Geld, das du willst!« So sprach er, und vor Freude geißelte er seinen Stiefel mit der Reitpeitsche, und dann ging er seinem Schicksal entgegen, näherte sich dem Haus, in dem diese Frau lebte.

***

    Vor der protzigen Villa im Stil eines Schweizer Chalets, deren Außenwände so blankgeputzt waren, dass sie wie Mahagoni glänzten, betrachtete er die Schalen des Windmessers, die sich langsam auf dem Schieferdach drehten, und dann war sein Entschluss gefasst. Den Koffer in der Hand, stieß er vorsichtig die Gartenpforte auf und trat ein. In der Birke, die ihre flammende Krone zur Seite neigte, lärmten die Vögel, offenbar zum Lobe dieser schönen Welt. Um den knirschenden Kies zu vermeiden, wagte er einen Sprung in die mit Muschelwerk eingefassten Hortensienbeete. Vor der großen Veranda angelangt, warf er, im Efeu verborgen, einen Blick durch das Fenster. In dem Salon, dessen Wände mit rotem Samt ausgeschlagen und mit vergoldetem Holz getäfelt waren, saß sie am Klavier und spielte. »Spiel nur, meine Schöne, du weißt nicht, was dich erwartet«, murmelte er.
    Er kletterte auf den Pflaumenbaum, zog sich zu dem Balkon im ersten Stock empor, setzte den Fuß auf die Kette der Balustrade, legte die Hand auf einen hölzernen Vorsprung, richtete sich auf, erreichte den Sims des Fensters im zweiten Stock, öffnete die halbgeschlossenen Fensterläden, dann die Vorhänge und gelangte mit einem Sprung in das Zimmer. Jetzt war er wieder bei ihr, wie gestern und vorgestern, aber heute würde er sich ihr zeigen, und er würde es wagen. Schnell, die Vorbereitungen.
    Mit nacktem Oberkörper über den offenen Koffer gebeugt, entnahm er ihm einen alten abgetragenen Mantel und eine mottenzerfressene Pelzmütze und blickte überrascht auf die Krawatte der Ehrenlegion, die seine Finger zufällig berührt hatten. Da sie nun schon einmal da war, rot und schön noch dazu, konnte er sie auch gleich umlegen. Nachdem er sie um seinen Hals geschlungen hatte, stellte er sich vor dem großen Ankleidespiegel in Positur. Ja, fast zum Erbrechen schön. Strenges, von wirrem dunklem Haar gekröntes Antlitz. Schmale Hüften, flacher
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