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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition)
Autoren: Albert Cohen
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Bauch, breite Brust und unter der sonnengebräunten Haut die wie geschmeidige Schlangen ineinander verschlungenen Muskeln. All diese Schönheit kommt später einmal auf den Friedhof, hier ein wenig grün, dort ein wenig gelb, ganz allein in einer von der Feuchtigkeit zerfressenen Holzkiste. Schön überrascht würden sie sein, seine Anbeterinnen, wenn sie ihn still und steif in seiner Kiste sähen. Er lächelte ohne Grund und ging auf und ab, von Zeit zu Zeit seine automatische Pistole in der Hand wiegend.
    Er hielt inne, um diesen kleinen, gedrungenen und stets dienstbereiten Gefährten zu betrachten. Er enthielt bereits die Kugel, die später, ja, später … Nein, nicht in die Schläfe, da riskierte man, am Leben zu bleiben und blind obendrein. Das Herz, ja, aber nicht zu tief schießen. Die richtige Stelle lag in dem Winkel zwischen Brustbein und drittem Interkostalraum. Mit dem Füllfederhalter, der auf einem runden einbeinigen Tischchen neben einem Fläschchen Eau de Cologne lag, markierte er den günstigsten Punkt und lächelte. Dort würde sich also das kleine, von schwarzen Pünktchen umrandete sternförmige Loch befinden, nur wenige Zentimeter von der Brustwarze entfernt, die schon so viele Frauen geküsst hatten. Sollte er dieser Plackerei bereits jetzt ein Ende bereiten? Der stets zu Hass und Verleumdung bereiten Bande, die sich Menschheit nennt, Lebewohl sagen? Frisch gebadet und rasiert gäbe er eine recht präsentable Leiche ab, und als Commandeur der Ehrenlegion noch dazu. Nein, zuerst musste das unerhörte Unternehmen gewagt werden. »Gesegnet seist du, wenn du die bist, die ich zu finden glaube«, murmelte er, während unten das Klavier immer noch die wundervollste Musik spielte; er küsste seine Hand, setzte seinen Gang fort, halbnackt und ein absurder Commandeur, und hielt sich dabei, unaufhörlich einatmend, das Fläschchen Eau de Cologne an die Nase. Vor dem Nachttisch blieb er stehen. Auf der Marmorplatte ein Buch von Bergson und Schokoladenpralinen. Nein danke, keine Lust. Auf dem Bett ein Schulheft. Er öffnete es, hielt es an seine Lippen und las.

    »Ich habe beschlossen, eine begabte Romanschriftstellerin zu werden. Aber das hier sind meine Anfänge als Schriftstellerin, und ich muss mich üben. Deshalb wird es gut sein, alles in diesem Heft niederzuschreiben, was mir über meine Familie und über mich selbst durch den Kopf geht. Und wenn ich dann die wahren Geschichten erzählt und etwa hundert Seiten damit gefüllt habe, werde ich sie mir wieder vornehmen, um daraus den Anfang meines Romans zu machen, aber mit veränderten Namen.
    So beginne ich mit einer gewissen Erregung. Ich glaube, dass ich mir die hohe Kunst des Schreibens aneignen kann, wenigstens hoffe ich es. Also jeden Tag mindestens zehn Seiten. Wenn ich mit einem Satz nicht fertig werde, oder wenn es mir zu dumm wird, fahre ich im Telegrammstil fort. Aber in meinem Roman werde ich natürlich nur richtige Sätze schreiben. Und jetzt los!
    Doch bevor ich anfange, muss ich die Geschichte des Hundes Spot erzählen. Sie hat mit meiner Familie nichts zu tun, ist aber eine sehr schöne Geschichte, die von der moralischen Qualität dieses Hundes und der Engländer zeugt, die sich um ihn kümmerten. Vielleicht bringe ich sie auch in meinem Roman unter. Vor ein paar Tagen las ich im
Daily Telegraph
(ich kaufe ihn von Zeit zu Zeit, um nicht den Kontakt zu England zu verlieren), dass Spot, eine schwarzweiße Promenadenmischung, jeden Abend um sechs Uhr auf sein Herrchen an der Bushaltestelle in Sevenoaks zu warten pflegte. (Zu viele
zu
in dem Satz. Muss korrigiert werden.) Als aber eines Mittwochabends sein Herrchen nicht aus dem Bus stieg, rührte sich Spot nicht vom Fleck und wartete die ganze Nacht in der Kälte und im Nebel auf der Straße an der Haltestelle. Ein Radfahrer, der ihn kannte und am Abend zuvor kurz vor sechs gesehen hatte, sah den armen Schatz am nächsten Morgen um acht Uhr immer noch am selben Fleck sitzen und geduldig auf sein Herrchen warten. Der Radfahrer war so gerührt, dass er seine Sandwiches mit Spot teilte und die Sache dann dem Inspektor des Tierschutzvereins (R.S.P.C.A.) von Sevenoaks meldete. Die Ermittlungen ergaben, dass Spots Herrchen am Tag zuvor plötzlich an einem Herzanfall in London gestorben war. Mehr Einzelheiten waren der Zeitung nicht zu entnehmen.
    Die Leiden dieses armen kleinen Tiers, das vierzehn Stunden lang auf sein Herrchen gewartet hatte, rührten mich so, dass ich an den R.S.P.C.A. (bei
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