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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition)
Autoren: Albert Cohen
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dem ich förderndes Mitglied bin) telegrafierte, ich sei gewillt, Spot zu adoptieren, und sie bat, ihn mir auf meine Kosten per Flugzeug zu schicken. Am selben Tag erhielt ich die Antwort: ›Spot bereits adoptiert.‹ Darauf telegrafierte ich: ›Wurde Spot von einer Vertrauensperson adoptiert? Erbitte Einzelheiten.‹ Die Antwort kam in einem Brief und war beispielhaft. Ich gebe sie wieder, um zu zeigen, wie wunderbar die Engländer sind. Ich übersetze: ›Sehr verehrte gnädige Frau, in Beantwortung Ihres Schreibens beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, dass Spot von Seiner Eminenz, dem Erzbischof von Cantorbéry, Primas von England, adoptiert worden ist, der uns alle moralischen Garantien zu bieten scheint. Spot hat seine erste Mahlzeit im erzbischöflichen Palast mit gutem Appetit eingenommen. Hochachtungsvoll.‹
    Jetzt zu meiner Familie und zu mir. Ich bin eine geborene Ariane Cassandre Corisande d’Auble. Die Aubles gehören zu den besten Genfer Familien. Französischer Herkunft, folgten sie im Jahre 1560 Calvin. Unsere Familie hat Genf Wissenschaftler, Moralisten, ungeheuer vornehme und reservierte Bankiers und einen Haufen Pastoren geschenkt, die zu den Moderatoren der Vénérable Compagnie gehörten. Und dann hat es noch einen Ahnen gegeben, der Wissenschaft mit Pascal betrieben hat. Die Genfer Aristokratie ist besser als jede andere, mit Ausnahme der englischen. Großmutter war eine Armios-Idiot. Weil es nämlich die Armios-Idiot gibt, die zur guten Gesellschaft gehören, und die Armyau-Boyau, mit denen es nicht weit her ist. Natürlich gibt es diesen zweiten Namen Idiot oder Boyau nicht wirklich, man nennt ihn eigentlich nur, um nicht immer buchstabieren zu müssen. Schade, unser Name wird bald aussterben. Alle Aubles sind unter der Erde, außer Onkel Agrippa, der Junggeselle und folglich ohne Nachkommenschaft ist. Und falls ich einmal Kinder haben sollte, werden es nur Deumes sein.
    Jetzt muss ich von Papa, Mama, meinem Bruder Jacques und meiner Schwester Éliane erzählen. Mama starb, als sie Éliane das Licht der Welt erblicken ließ. Diesen Satz muss ich in meinem Roman ändern, er klingt dumm. An Mama erinnere ich mich überhaupt nicht. Auf den Fotos sieht sie nicht sehr sympathisch aus, ein sehr strenges Gesicht. Papa war Pastor und Professor an der theologischen Fakultät. Als er starb, waren wir noch sehr jung, Éliane fünf, ich sechs und Jacques sieben. Das Zimmermädchen erklärte mir, dass Papa im Himmel sei, und das machte mir Angst. Papa war sehr gütig und sehr imponierend, und ich bewunderte ihn. Nach allem, was Onkel Agrippa mir erzählte, wirkte er aus Schüchternheit kalt, gewissenhaft und von jener moralischen Rechtschaffenheit, die den Ruhm des Genfer Protestantismus ausmacht. Wie viele Tote in unserer Familie! Éliane und Jacques bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Über Jacques und meine Éliane kann ich nicht sprechen. Wenn ich es täte, würde ich weinen und könnte nicht fortfahren.
    In diesem Augenblick spielt man im Radio das
›Zitto, zitto‹
aus der
Cenerentola
des schrecklichen Rossini, dieses kleinen Esels, der sich nur für seine selbstgemachten Cannelloni interessierte. Vorher brachten sie
Samson und Dalila
von Saint-Saëns. Noch schlimmer. Apropos Radio, vor einigen Tagen hat man ein Stück von einem gewissen Sardou, namens
Madame Sans-Gêne
, übertragen. Entsetzlich! Wie kann man noch demokratisch bleiben, nachdem man das Gelächter und den Beifall des Publikums gehört hat? Die Freude dieser Idioten über gewisse Erwiderungen der Madame Sans-Gêne, Herzogin von Danzig! Wie vulgär sie beispielsweise auf einem Empfang bei Hofe redet! Man stelle sich vor, eine Herzogin, die früher Wäscherin war und noch stolz darauf ist! Und wie sie mit Napoleon spricht! Ich verachte diesen Herrn Sardou aus tiefster Seele. Mutter Deume hat es natürlich gefallen. Schrecklich auch das ordinäre Gebrüll der Zuschauer eines Fußballspiels im Radio. Diese Leute muss man doch einfach verachten.
    Nach Papas Tod zogen wir drei zu seiner Schwester Valérie, die wir Tantlérie nannten. Im Roman ausführliche Beschreibung ihrer Villa in Champel mit all den miserablen Ahnenporträts, Bibelversen und alten Ansichten von Genf. In Champel wohnte auch der Bruder Tantléries, Agrippa d’Auble, den ich Onkel Gri nannte. Er ist sehr interessant, aber ich werde ihn ein anderes Mal beschreiben. Vorläufig will ich nur von Tantlérie erzählen. Sie ist eine Person, die ich bestimmt in meinem
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