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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition)
Autoren: Albert Cohen
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die Einwohner Lesothos Basutos sind und Sesuto sprechen. Dagegen war es verpönt, über das zu sprechen, was meine Tante materielle Dinge nannte. Ich erinnere mich, eines Tages in meiner Unbesonnenheit gesagt zu haben, dass ich die Suppe etwas zu sehr gesalzen fände, worauf sie die Stirn runzelte und mich mit einem eisigen ›Tss, Ariane, ich bitte dich‹ zurechtwies. Die gleiche Reaktion, als ich mich nicht enthalten konnte, die Mousse au chocolat, die uns eben serviert worden war, zu loben. Ich hätte mich am liebsten unter dem Tisch verkrochen, als sie mich mit ihren kalten Augen anblickte.
    Kalt und doch zutiefst gütig. Sie vermochte es nur nicht zu zeigen, zum Ausdruck zu bringen. Es war keine Gefühllosigkeit, sondern edle Zurückhaltung, vielleicht auch Angst vor allem Fleischlichen. Fast nie ein zärtliches Wort, und die seltenen Male, die sie mich küsste, berührten ihre Lippen nur ganz leicht meine Stirn. War ich dagegen krank, so stand sie mehrere Male mitten in der Nacht auf und kam in ihrem majestätischen Morgenrock zu mir, um sich zu überzeugen, ob ich nicht wach lag oder die Decke abgeschüttelt hatte. Liebste Tantlérie, die so zu nennen ich mich nie getraut habe.
    Irgendwo in meinem Roman muss ich von meinen Gotteslästerungen sprechen, als ich klein war. Ich war sehr fromm, und doch konnte ich mich unter der Dusche nicht enthalten, plötzlich zu sagen: ›Du Drecksgott!‹ Doch gleich danach rief ich: ›Nein nein, ich habe das nicht gesagt! Gott ist gütig, Gott ist sehr nett!‹ Und dann fing es wieder an, und ich lästerte erneut! Ich wurde ganz krank davon und schlug mich, um mich zu bestrafen.
    Eine andere Erinnerung. Tantlérie hatte mir erzählt, die Sünde gegen den Heiligen Geist sei die schlimmste von allen. Doch abends, wenn ich im Bett lag, konnte ich manchmal der Versuchung nicht widerstehen, vor mich hinzuflüstern: ›Es ist mir egal, ich sündige gegen den Heiligen Geist!‹ Ohne natürlich zu wissen, was es bedeutete. Aber gleich danach war ich furchtbar erschrocken, versteckte mich unter der Bettdecke und erklärte dem Heiligen Geist, dass ich es nur aus Spaß gesagt hätte.
    Meine arme Tantlérie hatte keine Ahnung, welche Ängste sie mir und Éliane bereitete. So glaubte sie zum Beispiel, im Interesse unseres Seelenheils zu handeln, wenn sie uns oft vom Tod erzählte, um uns damit auf das ewige Leben vorzubereiten, das allein zählte. Wir waren wohl gerade mal zehn und elf, als sie uns bereits Geschichten von sterbenden und erleuchteten Musterkindern vorlas, die himmlische Stimmen hörten und sich auf den Tod freuten. Das wurde für meine Schwester und mich zu einer krankhaften Besessenheit. Ich erinnere mich noch an unseren Schrecken, als wir in einem biblischen Kalender den Text für den nächsten Sonntag lasen: ›Du wirst sterben, und du wirst im Herrn geborgen sein.‹ Eine entfernte Cousine Armiot hatte Éliane und mich für eben jenen Sonntag zu sich eingeladen, und ich hatte ihr gesagt, wir seien nicht sicher, kommen zu können, da wir vielleicht in Gott geborgen sein würden. Seitdem habe ich zwar nicht wirklich den Glauben verloren, kann aber Choräle nicht ausstehen, besonders den, der mit den Worten ›Im Lande des ewigen Ruhms‹ beginnt. Mir wird ganz elend zumute, wenn ich die in der Kirche versammelten Leute höre, die ihn mit falscher Freude und krankhafter Inbrunst singen und sich einreden, sie würden mit Begeisterung sterben, aber bei der kleinsten Unpässlichkeit den Arzt rufen.
    Hier noch ein paar weitere kleine Erinnerungen, kunterbunt durcheinander und in wenigen Worten, nur damit ich sie nicht vergesse. Ich werde sie im Roman entwickeln. Tantlérie mit ihrer Stickerei nach dem morgendlichen und abendlichen Gottesdienst. Der Gottesdienst endete oft mit dem Choral ›Wie der Hirsch röhrt‹, und ich musste an mich halten, um nicht loszulachen. Doch Tantlérie betete oft allein, dreimal am Tag, immer um dieselbe Zeit in ihrem Boudoir, und man durfte sie nicht stören. Einmal beobachtete ich sie durchs Schlüsselloch. Sie lag auf den Knien mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen. Plötzlich lächelte sie seltsam und schön, was mich sehr beeindruckte. Irgendwo muss ich auch erwähnen, dass sie nie einen Arzt rufen wollte, nicht einmal Onkel Gri. Sie glaubte an die Heilung durch das Gebet. Im Zusammenhang mit ihrer bereits angedeuteten Angst vor allem Fleischlichen muss ich noch ihre Handtücher im Badezimmer erwähnen. Sie hatte je eines für die
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