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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition)
Autoren: Albert Cohen
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war ja so jung. Wenn ich nach Hause kam, schämte ich mich, und das umso mehr, als sie mir nie Vorwürfe machte. Als ich jedoch einmal um zwei Uhr morgens von einem Ball heimkam und ihr irgendetwas erzählte, um mich zu rechtfertigen, erwiderte sie gelassen: ›Ja, aber ich werde sterben.‹ Nie werde ich ihren Blick vergessen.
    Am Tag nach ihrem Tod betrachtete ich ihre Hände. Man brauchte sie nur anzusehen und fühlte, dass sie schwer wie Marmor waren. Sie waren matt, von trübem Weiß, und die Finger waren geschwollen. Da verstand ich, dass es aus war, dass alles aus war.
    Nach dem Friedhof meine Angst in der kleinen Wohnung, wo sie nachts auf mich gewartet hatte. Da beschloss ich, ins Hotel Bellevue zu ziehen. Adrien Deume, der von seiner Regierung in den Völkerbund entsandt worden war und dessen Eltern noch nicht zu ihm gezogen waren, wohnte im selben Hotel. Eines Abends stellte ich fest, dass ich fast kein Geld mehr hatte. Unmöglich, die Wochenrechnung zu bezahlen. Ganz allein auf der Welt und niemand, an den ich mich wenden konnte. Mein Onkel mitten in Afrika und meine Tante irgendwo in Schottland. Doch selbst wenn ich ihre Adresse gekannt hätte, hätte ich mich nicht getraut, ihr zu schreiben. Die Leute aus meinem Milieu, Cousins, entfernte Verwandte und Bekannte, hatten mich seit meinem Auszug und meinem Leben mit der ›russischen Revolutionärin‹ geschnitten.
    Ich weiß nicht genau, was passiert ist, nachdem ich all die Veronaltabletten genommen hatte. Ich muss die Tür meines Zimmers geöffnet haben, denn Adrien fand mich im Flur liegen, als er nach Hause kam. Er hob mich auf und trug mich in mein Zimmer. Da sah er die leeren Pillenschachteln. Arzt, Magenspülung, Spritzen mit ich weiß nicht was. Angeblich schwebte ich ein paar Tage lang zwischen Leben und Tod.
    Erholung. Adriens Besuche. Ich erzählte ihm von Warwara und Éliane. Er tröstete mich, las mir vor, brachte mir Bücher, Schallplatten. Der einzige Mensch auf der Welt, der sich um mich kümmerte. Ich war benommen. Die Vergiftung hatte mein Gehirn angegriffen. Eines Abends fragte er mich, ob ich ihn heiraten wolle, und ich sagte ja. Ich brauchte einen gütigen Menschen, der sich für mich interessierte und der mich bewunderte, da ich wohl wusste, dass meine Klasse mich verstoßen hatte. Außerdem war ich völlig mittellos und für den Existenzkampf nicht gerüstet, da ich nichts gelernt hatte und nicht einmal fähig war, eine Sekretärin zu sein. Wir heirateten vor der Ankunft seiner Eltern. Seine Geduld, als ich ihm gestand, ich hätte Angst vor den Dingen, die sich zwischen einem Mann und einer Frau abspielen.
    Kurz nach meiner Hochzeit Tod Tantléries in Schottland. Termin bei ihrem Notar. In ihrem Testament, das sie nach dem Skandal meiner Eskapade aufgesetzt hatte, hinterließ sie mir alles außer der Villa in Champel, die Onkel Agrippa erbte. Eintreffen der Eltern Adriens. Meine Depressionen. Wochenlang blieb ich in meinem Zimmer, lag im Bett und las, und Adrien brachte mir mein Essen. Dann wollte ich Genf verlassen. Er nahm mehrere Monate unbezahlten Urlaub. Unsere Reisen. Sein guter Wille. Meine Launen. Eines Abends schickte ich ihn weg, weil er nicht Warwara war. Dann rief ich ihn zurück. Er kam und war so sanft, so gütig. Da sagte ich ihm, ich sei ihm eine sehr schlechte Frau gewesen, aber damit sei nun Schluss, ich würde von nun an lieb zu ihm sein und er solle seine Arbeit wiederaufnehmen. Wir kehrten nach Genf zurück, und ich bemühte mich aufrichtig, mein Versprechen zu halten.
    Nach unserer Rückkehr lud ich Freundinnen von früher ein. Sie kamen mit ihren Männern. Seither Schluss, nichts mehr von ihnen gehört. Sie sahen Mutter Deume und ihren kleinen Mann, und das genügte ihnen. Meine Cousins und Cousinen, die Armiots und die Saladins unter anderen, luden mich zwar noch ein, aber allein und ohne meinen Mann zu erwähnen. Ich ging natürlich nicht hin.
    Ich muss den kleinen Papa Deume, den ich sehr gern habe, und die Mutter Deume, die falsche Christin mit ihren frommen Grimassen, zu Romanpersonen machen. Mutter Deume ist ein wahres Miststück, und vor einigen Tagen fragte sie mich, wie es um meine Seele bestellt sei, und dann sagte sie, sie stehe mir zur Verfügung, wenn ich einmal ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen wünsche. In ihrer Sprache bedeutet ein ernsthaftes Gespräch ein religiöses Gespräch. Einmal hatte sie die Stirn, mich zu fragen, ob ich an Gott glaube. Ich antwortete ihr, nicht immer. Daraufhin
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