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GK283 - In den Katakomben von Wien

GK283 - In den Katakomben von Wien

Titel: GK283 - In den Katakomben von Wien
Autoren: A.F.Morland
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Der Mann, der die Führung durch die Katakomben des Wiener Stephansdomes machte, war jung, hatte dunkles Haar und leierte seinen Text mit großer Gleichgültigkeit herunter.
    Zu Beginn hatte er gefragt, ob unter den Besuchern Ausländer wären. Daraufhin schüttelten die Leute den Kopf, und der Führer meinte: »Um so besser. Dann brauche ich nur in meiner Muttersprache vorzutragen.«
    Er führte die kleine Gruppe an Sarkophagen und Grabnischen vorbei, erklärte, wer hier und dort bestattet war, beschrieb die Beisetzungszeremonielle vergangener Tage.
    Manche davon hatten sich bis zum heutigen Tage erhalten. Die Besucher standen dicht gedrängt beisammen. Auch dann, wenn genug Platz war. Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie alle hier unten.
    Dies war ein Reich der Toten. Das Reich der Vergangenheit, des Vergessens, und doch war es gleichzeitig auch ein Totenreich der Gegenwart, das eine rätselhafte Beklemmung hervorrief.
    Die kleine Besuchergruppe wechselte vom renovierten Teil der Katakomben zum alten Teil über. Durch einen schmalen Gang gingen die Leute unter der zwölf Meter dicken Grundmauer des Domes hindurch.
    Der Boden unter ihren Füßen war schwarzbraun und feucht. Es roch muffig. In diesen alten Gewölben wirkte jede gezeigte Einzelheit unheimlich, manchmal auch bedrohend.
    Grabkammern aus längst vergangenen Tagen waren zu sehen. Hier wurden die Pesttoten abgelegt, und wenn eine solche Kammer bis obenhin voll war, mauerte man sie einfach zu und belegte die nächste.
    Bald reichten die Kammern nicht mehr aus, denn die Pest – der schwarze Tod, wie diese schlimme Seuche auch genannt wurde – raffte in der Zeit vom 14. bis zum 18. Jahrhundert Tausende Menschen dahin.
    Deshalb kam man auf die Idee, die Leichen platzsparender unterzubringen. Strafgefangene wurden in die Katakomben geschickt. Sie mußten die ersten Grabkammern öffnen, die Knochen der inzwischen verwesten Toten herausholen und in einer anderen Kammer wie Holz zu einem Scheiterhaufen aufschichten.
    Eine schreckliche Arbeit, wenn man bedenkt, daß in dieser Zeit hin und wieder im Dom keine Messen abgehalten werden konnten, weil der Verwesungsgestank zu unerträglich war.
    Istvan Takay hörte kaum noch, was der Führer sagte. Er war von dem, was er sah, fasziniert. Er blickte sich mit glänzenden Augen um und stellte sich vor, wie es hier unten in den Tagen der Pestzeit zugegangen sein mußte.
    Takay war kein Besucher wie die anderen. Der schwarzgekleidete Mann mit dem blassen Gesicht verfolgte mit dieser Besichtigung ein ganz bestimmtes Ziel. Er verachtete die Menschen, die hierhergekommen waren, um sich für zwanzig Minuten zu gruseln.
    Er haßte den jungen Mann, der mit solchen Führungen seinen Lebensunterhalt verdiente und sich der Tatsache nicht bewußt wurde, daß er die Toten in ihrer letzten Ruhe störte – wenn es sich auch nur mehr um aufgeschichtete Gebeine handelte.
    Takay blieb absichtlich ein wenig zurück. Er ließ die Leute vorgehen. Sie schauten mit großen Augen und gespannten Mienen in die gezeigten Nischen, hielten den Atem an, wenn ihnen graue Totenschädel entgegengrinsten, nickten einander bedeutungsvoll zu und wiegten den Kopf, wenn sie hörten, wie viele Leichen hier unten auf engstem Raum untergebracht worden waren.
    Zweitausend befanden sich in jener Kammer, in die man durch ein mit Eisenstäben vergittertes Fenster blicken konnte. Zweitausend Skelette. Ihre Knochen waren nach Länge und Größe sortiert, und dazwischen – wie zur Dekoration – gab es immer wieder einen bleckenden Totenschädel zu sehen.
    Das Ganze wurde mit verborgenen Strahlern beleuchtet, was noch mehr zu einer spürbaren Unheimlichkeit beitrug. Der junge Führer brachte seine Schafe eine Station weiter.
    Istvan Takay folgte den Leuten nicht mehr. Er hatte sein Ziel erreicht. Hierher hatte er gewollt. Hier, unter diesen zweitausend Skeletten, mußte seiner Meinung nach einer seiner Ahnen ruhen.
    Wie entwürdigend. Ausgestellt wie ein Fossil. Den Blicken sensationslüsterner Gaffer preisgegeben, die vor einer Stunde noch im Café Sacher bei Torte und Mokka getratscht hatten und später zum Demel, dem Wiener Nobelkonditor, gehen würden, um über das ihre Scherze zu machen, was sie hier gesehen hatten.
    Takays Miene verfinsterte sich. Seine Züge verzerrten sich einen Augenblick. Blanker Haß glitzerte in seinen Augen. Das sollte nun alles anders werden. Sein Ahne sollte nicht mehr länger als Schauobjekt mißbraucht werden.
    Damit sollte es
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