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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank
Autoren: Gunnar Staalesen
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winkten ihm zum Zeichen, daß er warten sollte.
    Sie sagte: »Komm mit, Varg. Komm mit – jetzt, zu mir nach Hause!« Sie faßte meine Oberarme mit ihren kleinen Händen, sah mit eifrigen Augen zu mir auf.
    Ich seufzte tief. »Nicht heute abend, Elsa. Ich – ich bin kaputt. Ehrlich. Ich laufe zurück zum Hotel, dann krieg ich auch ein bißchen frische Luft.« Eine kurze, schmerzhafte Pause entstand. Dann setzte ich hinzu: »Gute Nacht, Elsa, und … leb wohl …«
    Sie sah zu mir auf, tief, tief in meine Augen. Dann liefen ihre Augen über, sie streckte sich und küßte mich auf den Mund mit offenen, weichen Lippen, strich mir schnell über die Wange, wandte sich ab und lief zum Taxi.
    Sie winkte mir zu als sie einstieg. Ich blieb mit halb erhobener Hand stehen und starrte dem Taxi nach, bis es verschwunden war.
    Ich hatte einen dicken Kloß im Hals.
    Das Leben war voller Abschiede. Es wurde langsam Zeit, wieder einmal hallo zu sagen.

40
    Als wir Karven passierten, ging ich nach oben an Deck und stand da und sah auf die Stadt. Bergen lag in verfrorener Novembermorgenpositur zwischen den Bergen. Es war fast halb zwölf, und durch den Eisnebel über Løvstakken schimmerte die Sonne wie ein ockergelber Kreis.
    Die Berge trugen weiße Neuschnee-Käppchen. Auf Fløyen standen die Tannen wie weißgekleidete Mönche. Ich wußte, wie es jetzt dort oben war. Saubere, weiße Skispuren, stille Furchen zwischen den Bäumen: Loipen, die nur hier und da von einer Hasenfährte gekreuzt wurden. Und über dem Ganzen erhob sich der Himmel – blaugrün und durchsichtig, mit einer zierlichen Borte goldenen Sonnenscheins am Horizont. Winter. Stille. Frieden.
    Aber unten aus der Stadt stieg der Verkehrslärm, und die Straßen waren schmutzig, der Schnee in den Rinnsteinen braunrot und staubig. Ich ging an Land und dann stadteinwärts zu meinem Büro, nahm den Fahrstuhl in den dritten Stock und schloß mir auf. Im Wartezimmer war es dunkel und still. Die Stühle standen da wie Mahnmale all dessen, was einem im Leben fehlte. Ich öffnete die Tür zum Büro. Die Luft war kühl, die Atmosphäre stickig. In gewisser Weise kam es mir vor, als sei ich gar nicht weg gewesen, aber auch so, als sei ich noch nie vorher hier gewesen. Ich fühlte mich mir selbst fremd – wie mein eigener Schatten. Ich stand wieder an der Tür und sah mich den Raum durchqueren, am Schreibtisch entlang gehen, mit der Hand wie zufällig an der Kante entlangstreichen, den Stapel Post aus dem Briefkasten ablegen, mich auf den Stuhl fallen lassen und aus dem Fenster starren: ein blonder Mann Ende Dreißig, fast schon vierzig, mit ein paar grauen Haarsträhnen in der Stirn, die man nur bei starker Sonne sah, mit Gesichtszügen, die nach und nach ihre Form gefunden hatten, und Augen, die viel zu viele Tote, viel zu viele gestrandete Existenzen gesehen hatten.
    Ich sah mich selbst die Hand nach dem Telefon ausstrecken und eine Nummer wählen. Ich lauschte auf das Klingeln. Es klingelte zweimal, dreimal, vier, fünf, sechs. Nach dem achten Mal wurde der Hörer abgehoben, und eine matte Stimme sagte: »Ja?«
    »Frau Samuelsen?«
    »Ja.«
    »Hier ist Veum. Es tut mir leid.«
    Sie antwortete nicht.
    Ich fuhr fort: »Ich weiß nicht, wieviel die Polizei Ihnen erzählt hat …«
    Nach einer Pause kam: »Genug.«
    »Ich dachte, daß ich … Vielleicht kann ich etwas hinzufügen. Das Bild vervollständigen, wenn Sie wollen.«
    »Bitte.«
    »Kann ich jetzt zu Ihnen nach Hause kommen – oder wollen Sie lieber warten?«
    »Kommen Sie ruhig.«
    »Sofort?«
    »Ja. Und Veum, bringen Sie die Rechnung mit.«
    »Aber …«
    »Ich möchte vermeiden, Sie noch öfter zu sehen.«
    »Also gut. Dann komme ich, so schnell ich kann. Auf Wiederhören.«
    Sie murmelte etwas und legte auf.
    Ich blieb am Schreibtisch sitzen, sammelte meine Quittungen zusammen, zählte die Tage und schrieb die Rechnung, mit einem Durchschlag, auf der alten Schreibmaschine, die ich auf einem Flohmarkt für fünfzig Kronen gekauft hatte. Sie machte einen Lärm wie ein Zirkusorchester, aber sie schrieb, was sie sollte.
    Bevor ich ging, rief ich Solveig an. Als ich ihre Stimme hörte, saß ich einen Moment lang da und lauschte, ehe ich sagte: »Hej! Ich bin’s. Ich bin zurück.«
    »Hej!« sagte sie. Und dann noch einmal: »Hej! Geht’s dir gut? Ist alles gutgegangen?«
    »Mir – ja. Es ist gutgegangen.«
    Ihre Stimme klang rastlos, fast nervös: »Ich würd gern – wir müssen miteinander reden, Varg …«
    »Ich
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