Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank
Autoren: Gunnar Staalesen
Vom Netzwerk:
erzählt. Ich will nichts mehr wissen.« Ihr Gesicht war entschlossen, hart, um zehn Jahre älter.
    »Er … Sie hat es geschickt verborgen«, sagte ich. »Auf See, auf der Plattform.«
    »Sie war immer schüchtern«, sagte sie ironisch.
    Ich nickte. An Bord der Schiffe hatten sie Einzelkabinen, auf der Plattform wurde in Schichten gearbeitet. Es war nicht so schwer gewesen. Ich starrte das schwarze Kissen an. Der Text wirkte fast obszön leichtsinnig, nach allem, was geschehen war: La belle France .
    Ihre Stimme wurde geschäftsmäßig: »Haben Sie die Rechnung dabei?«
    Ich gab sie ihr. »Es eilt nicht.«
    Sie antwortete nicht. »Würden Sie so nett sein und auf den Flur gehen?«
    Wir wiederholten die Prozedur vom letzten Mal, aber dieses Mal bat sie mich nicht wieder ins Wohnzimmer. Sie kam zu mir heraus, und in dem dunklen Flur zählte ich die Hunderter, einen nach dem anderen.
    Wir standen einen Moment vor der Eingangstür. Ich sagte: »Das alles tut mir wirklich leid. Sollten Sie Hilfe brauchen, ein andermal …«
    Sie sah an mir vorbei, zur Tür. Sie sagte nichts, nickte nur mit blassen Augen und zusammengekniffenen Lippen. Es roch schwach nach Kohl. Ich griff ihre Hand, drückte sie, öffnete die Tür und ging.
    Bevor ich mich umdrehen konnte, war sie hinter mir wieder geschlossen.
    Dragfjelltrappen lag verlassen da. Wäre der Verkehrslärm nicht gewesen, hätte die Stadt wie ausgestorben wirken können. Die Sonne war jetzt hinter den Bergen, und es war kalt. Langsam setzte ich mich in Bewegung, Schritt für Schritt die alten Treppenstufen hinunter. Eine der Platten hatte sich gelöst, und als ich darauf trat, ertönte ein Laut – wie ein kleiner Schrei von weit her.

42
    Als ich zum Büro zurückkam, hing ein Zettel an der Tür: Ich warte unten im Café S .
    Ich fand sie an einem der Fenstertische. Sie saß da und sah auf Torget hinunter und bemerkte mich nicht, bis ich vor ihr am Tisch stand. Da streckte sie die Hand aus, umfaßte meine Finger und lächelte, ein angestrengtes Lächeln. Ich setzte mich ihr gegenüber. Ich wußte ungefähr, was sie sagen wollte. Während sie sprach, spielte sie mit ihrer leeren Kaffeetasse. Ich betrachtete ihre Augen. Sie waren dunkel und ausdrucksvoll, mit weichen Linien, fraulich und warm. Ihre Augen waren für mich immer das Schönste an ihr gewesen.
    Meine eine Hand lag auf dem Tisch zwischen uns. Als sie fertig war, umfaßte sie sie heftig, mit beiden Händen, flocht ihre Finger darum und drückte sie.
    »Aber wir werden immer Freunde bleiben, nicht Varg?«
    Ich nickte. »Selbstverständlich.« Nach einer kleinen Pause fügte ich hinzu: »Nimm es nicht so schwer. Es ist nicht deine Schuld. Ich hab so was schon mal erlebt. Es ist nicht das erste Mal, daß ich als zweiter ins Ziel komme. Oder dritter, wenn man’s genau nimmt.«
    Es zuckte in ihrem Gesicht. Die Augen wurden noch dunkler. Sie drückte meine Hand so hart, daß es fast weh tat.
    Dann suchte sie rasch ihre Sachen zusammen und stand auf. »Mach’s gut«, sagte sie, mit deutlicher Betonung auf dem letzten Wort. »Ruf mich mal an, wenn du magst.«
    »Ich …«
    Sie blieb stehen, wartete darauf, was ich sagen würde.
    »Ich werde immer da sein, Solveig. Ich werde immer auf dich warten. Du sollst immer wissen, wo du mich finden kannst, daß du mich finden kannst.«
    »Danke«, sagte sie schwach, hauchte es fast. »Ich weiß – das zu schätzen.« Dann lächelte sie wieder ihr angestrengtes Lächeln und verließ rasch das Café.
    Ich blieb am Fenster sitzen und folgte ihr mit den Blicken, als sie nach einer Weile den Marktplatz überquerte, auf dem Weg nach Skuteviken.
    Ich ging hinauf in mein Büro und rief Harry Monsens Detektivbüro in Oslo an. Monsen war nicht zu Hause, aber ich bat die Dame in der Vermittlung, ihn von mir zu grüßen und zu sagen, die definitive Antwort auf seine Frage sei: Nein.
    Dann ging ich nach Hause. Ich stellte den Koffer ab, hängte den Mantel auf und ging in die Küche. Ich öffnete den Kühlschrank. Er war leer. Ich schloß die Tür vorsichtig wieder, ließ mich schwer auf einen der Küchenstühle fallen und starrte aus dem Fenster, ohne mich zu bewegen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher