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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers
Autoren: Philipp Vandenberg
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ich ehrlich sein soll, ich hatte mich bereits aufgegeben. In den vergangenen Tagen habe ich oft deinen Mut bewundert, dein Gott- oder auch dein Selbstvertrauen. Denn ich glaube nicht an Gerechtigkeit. Gerechtigkeit nützt nur den Mächtigen.«
    »Was mich noch interessieren würde«, mischte sich Matthäus ein, und dabei sah er Magdalena prüfend an: »Was trieb dich an, mainauf, mainab zu pilgern, als suchtest du die ewige Glückseligkeit?«
    »Vielleicht hab ich das«, spottete Magdalena. »Aber lassen wir’s gut sein. Die Zeit wird kommen, da werde ich dir die wahren Gründe für mein Verhalten nennen. Und vielleicht wirst du mich sogar verstehen.«
    Magdalenas kryptische Bemerkungen weckten Schwarzens Neugier. Dennoch zog er es vor, nicht weiter auf sie einzuwirken.
    Vom Michelsberg tönte das Angelus-Geläute. Im leeren Gerichtssaal stank es noch immer nach Leuchtöl.
    »Wir haben alles verloren«, sagte Schweinehirt im Gehen.
    »Was soll das heißen?«, fragte Schwarz.
    »Das Haus, das Faust mit dem Leuchtöl angezündet hat, war das Haus der Pfisterin, wo wir Wohnung genommen hatten.«
    »Dann hat sich der Brandanschlag gegen euch gerichtet!«
    »Daran besteht wohl kaum ein Zweifel.«
    Matthäus Schwarz zog Magdalena in seine Arme. Sie ließ es geschehen, aber sie erwiderte seine Zärtlichkeit nicht. »Gut und Geld kann man ersetzen«, flüsterte er ihr zu.
    »Wenn es nur das wäre …«, hob Magdalena an, doch sie stockte mitten im Satz.
    Schwarz hielt es nicht für ratsam, Fragen zu stellen. Er spürte, wie sehr ihr das alles zu Herzen ging.
    Gemeinsam gingen sie den Weg über den Fluss zur ›Hölle‹, wo ihnen beißender Gestank entgegenwehte. Vom Haus der Pfisterinwar nur ein Haufen Asche übrig geblieben, aus der verkohlte Balken ragten.
    »Vielleicht ist es besser so«, sagte Magdalena vor sich hin.
    Wendelin verstand, was sie meinte. Nur Schwarz fand keine Erklärung.
    Im Gasthaus ›Zum wilden Mann‹ empfing sie der feiste Wirt mit auserwählter Höflichkeit. Matthäus Schwarz schickte ihn zum Kleiderhändler im ›Sand‹, er möge eine Frau und einen Mann mittlerer Größe neu ausstaffieren, und zwar noch heute.
    Was nun mit dem Gepäck der geflohenen Männer geschehen solle, erkundigte sich der Wirt. An eine Rückkehr von Faust und Erasmus sei wohl kaum zu denken.
    Schwarz meinte, er würde gerne einen Blick auf die Hinterlassenschaft der beiden werfen. Zusammen mit Magdalena betrat er zunächst die Kammer, in der Erasmus von Rotterdam logiert hatte.
    Das Reisegepäck des Gelehrten war äußerst bescheiden: ein Paar Beinkleider und schwarze Strümpfe, ein über der Brust in Falten gerafftes Hemd, dazu ein aufklappbares Reise-Schreibpult samt Gerätschaft und Bücher, mit einem Riemen zusammengeschnürt, obenauf sein eigenes Werk Colloquia familiaria 10 . Im Übrigen zeichnete sich die Kammer durch gewollte Unordnung aus, wie sie oft in einem frauenlosen Haushalt herrscht.
    In der Kammer Fausts hingegen begegneten sie peinlicher Ordnung. Der Strohsack war geglättet, Kleidungsstücke hingen am Türhaken oder waren über die Stuhllehne gelegt, eine Reisetruhe enthielt neben Leibwäsche eine Landkarte, Papier und Schreibgerät. Eine zweite Truhe zeichnete sich vor allem durch ihr Gewicht und dadurch aus, dass ihr Deckel zugenagelt war.
    Mit einem Schürhaken wuchtete Schwarz den Deckel hoch und brach in Gelächter aus: »Ehrlich gesagt, ich dachte, dieser Faustschleppte einen Goldschatz mit sich herum. Und was sehe ich? Steine, Bruchstücke nur! Kannst du mir das erklären?«
    Magdalena hob die Schultern.
    »Da«, sagte Schwarz und deutete auf die Innenseite des Holzdeckels. Von geübter Hand mit Rötel geschrieben, stand da zu lesen: In aeternum tacent libri Johannis Trithemii suo loco domo Caesaris Henrici.
    »In alle Ewigkeit schweigen die Bücher des Johannes Trithemius an ihrem Ort im Hause des Kaisers Heinrich.« Die Übersetzung ging Magdalena leicht von der Zunge.
    Voll Bewunderung neigte Matthäus Schwarz den Kopf zur Seite und zog die Augenbrauen hoch. Dann meinte er: »Diese Schwarzkünstler sind schon merkwürdige Menschen. Ergehen sich am liebsten in Rätseln. Sie verstehen sich hervorragend darauf, die einfachsten Dinge kompliziert auszudrücken.«
    Am Abend, bei Wein, Brot und Speck in der Wirtsstube, fand Magdalena allmählich wieder zu sich. Wendelin hatte sich verabschiedet, er sei müde und zu verwirrt für jede Art Konversation, und seine Kammer aufgesucht.
    Nach dem dritten
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