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Die Frau des Seiltaenzers

Die Frau des Seiltaenzers

Titel: Die Frau des Seiltaenzers
Autoren: Philipp Vandenberg
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an die ›Bücher der Weisheit‹, die ein für allemal verloren waren. Durch ihre Schuld. Unglück oder Segen?
    Ohne das Elixier würde sie niemals mehr aufs Seil gehen. Musste sie nun fürchten, ein Leben lang von der Inquisition verfolgt zu werden?
    Der Wind peitschte dicke Regentropfen gegen die Scheiben, als wollte er sie zum Bersten bringen. Sie fröstelte. Im Getöse bemerkte sie nicht, wie die Türe ihrer Kammer aufging. Im Halbschlaf hatte sie plötzlich den Eindruck, jemand stünde vor ihrem Bett. Magdalena öffnete die Augen.
    Matthäus! Er trug ein langes weißes Hemd.
    Sie dachte, er sei gekommen, um seinen Lohn einzufordern, und rückte in ihrem Bettkasten zur Seite. Doch Matthäus kniete nieder und schüttelte den Kopf: »Ich dachte, du würdest dich fürchten«, sagte er mit beruhigender Stimme.
    Magdalena wusste nicht, wie ihr geschah.
    Ein Blitz zerriss die Dunkelheit. Für den Bruchteil einer Sekunde erleuchtete er ihre Gesichter, und Magdalena wusste von einem Augenblick auf den anderen, dass sie mit Matthäus ihr Leben verbringen wollte.
    Sie zog ihn an sich, und sie liebten sich ungestüm. So, als müssten sie Entgangenes nachholen. Erschöpft sanken sie auf ihr Laken. Als sie erwachten, stand schon die Sonne am seidig blauen Herbsthimmel.
    Der Bibliothekar Schweinehirt, sagte der Wirt vom ›Wilden Mann‹ als sie nach unten kamen, habe das Haus schon in aller Frühe verlassen. Er sage Dank für die neue vornehme Kleidung und bitte seine Rechnung zu begleichen. Ihnen beiden wünsche er alles Glück dieser Erde.
    Noch am selben Tag gab Matthäus Schwarz Order, die Pferde einzuspannen und das Gepäck einzuladen. Als der schwere Wagendurch das südliche Stadttor rumpelte, ergriff Matthäus Magdalenas Hand. Übermütig ließ der Kutscher die Peitsche knallen, und die Pferde begannen zu traben. Magdalena und Matthäus fuhren in ein neues Leben.

EPILOG
    I m folgenden Jahr, nach einem kalten Winter, den ich auf Vermittlung der Pfisterin in der ungeheizten Bibliothek des Klosters auf dem Bamberger Michelsberg verbrachte, hängte ich meinen Beruf als Bibliothekar an den Nagel wie einen alten Mantel. Mit Begeisterung widme ich mich seither dem Geschichtenerzählen, ziehe von Stadt zu Stadt, von Burg zu Burg und von einem Jahrmarkt zum anderen, wo man mir oft nur ein paar Kreuzer in den Hut wirft.
    Und – ihr habt es längst bemerkt –, ich fand nicht nur eine neue Aufgabe, sondern gab mir auch einen neuen Namen. Ein fahrender Geschichtenerzähler darf nicht Wendelin heißen, schon gar nicht Schweinehirt, und so nannte ich mich Hildebrand von Aldersleben, nach meinem Geburtsort.
    Das klingt ein bisschen nach Wolfram von Eschenbach oder Heinrich von Höllefeu, der mit seinen Minneliedern sogar Waschweiber und Stubenmädchen zum Weinen brachte.
    Als Hildebrand von Aldersleben reise ich, der geborene Wendelin Schweinehirt, nun schon seit Jahren durch die Lande, Geschichten erzählend, die ich erlebt habe, und solche, die meiner Phantasie entspringen. Doch die Geschichte, die ich hier zu Papier gebracht habe, ist wahr wie das Amen in der Kirche; denn ich habe sie selbst erfahren, zum großen Teil sogar miterlebt.
    Heute erscheinen mir die Ereignisse Anno Domini 1525 als die aufregendsten und seltsamsten meines Lebens. Gewiss, die Erinnerung verklärt manches und räumt dem Schönen und Guten denVorzug ein, doch ist mir noch immer, als wäre es gestern gewesen, die Erinnerung gegenwärtig, wie die Zimmerleute auf dem Bamberger Markt das Galgengerüst aufstellten, auf welchem mich der Henker vom Leben zum Tod bringen sollte.
    Oft habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob die Vernichtung der ›Bücher der Weisheit‹ für die Menschheit einen Verlust darstellt, ob der Nutzen nicht sogar größer ist, wenn man bedenkt, welche Mittel und Wege gewisse Leute suchten, um in ihren Besitz zu gelangen. Damit meine ich nicht einmal Magdalena, deren einziges Interesse dem Elixier galt, das ihr ermöglichen sollte, sich von der Hexenklage der Inquisition zu befreien.
    Hätten der Papst und sein geldgieriger Legat Giustiniani den Schatz der Templer gefunden, wer weiß, was sie mit dem unbeschreiblichen Vermögen angefangen hätten. Die Armen wären, da bin ich mir sicher, leer ausgegangen – ungeachtet der Worte des Herrn in der Bibel: »Was ihr dem Geringsten meiner Brüder angetan habt, das habt ihr mir getan.«
    Und Albrecht von Brandenburg, der Schwerenöter? Der hätte noch aufwendiger gelebt, gesoffen und
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