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Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)

Titel: Hoffnung Blaue Seiten (German Edition)
Autoren: Jannis Plastargias
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Menschen fragen immer nach dem »Warum« und dem »Wie alles begann …« Ich tat dies auch lange Zeit, und ich wage zu behaupten, dass damit mein Dilemma begann. Nicht etwa mit dem obligatorischen Trauma, das angeblich der Ursprung allen Übels sein müsste, das es aber nicht gibt, nicht in meinen Erinnerungen. Nein, diese vielen Fragen nach der Ursache waren das Fatale. Jedoch ist dies einerlei, denn die Antwort darauf ändert nichts an der Tatsache, nichts an dem Zustand, der so ein Leben wie meines nicht mehr lebenswert erscheinen lässt.
     
    Ich versuche mich selbst zu riechen, doch es gelingt mir nicht. Nach meiner Wahrnehmung dufte ich, nach der anderer Menschen stinke ich eventuell, ich weiß es nicht. Viel zu lange habe ich keinen mehr gesehen, viel zu lange war ich damit beschäftigt, mich mit mir selbst zu beschäftigen: Zu versuchen mich zu riechen, meine Füße anzuschauen, wie sie scheinbar immer knorpeliger werden, meine Falten im Spiegel zu betrachten, wie sie sich immer weiter in mein Gesicht einkerben. Früher waren meine Stirnfalten dünne Striche, wenn ich die Stirn runzelte, nun sind da dicke wellige Linien, die mich alt erscheinen lassen – zumindest in meinen Augen, die womöglich zu kritisch sind, doch ich weiß nicht, wen ich fragen könnte, so wie ich es früher noch tun konnte.
     
    Etwas hat sich in meinem Leben verändert, etwas Grundlegendes. Und das merke ich besonders, wenn ich in meinem Wohnzimmer auf der Couch sitze und das gegenüberliegende identische Sofa anschaue, das verwaist dasteht. Ich sitze hier jeden Tag, jeden verdammten Tag seit fünf Jahren, seitdem ich diese beiden Sofas bestellt habe, und vorher waren es zwei andere identische Couchen, die mein gemütliches Wohnzimmer zierten. Zehn Jahre lang, bis ich es satt hatte, sie tagtäglich zu sehen, so wie ich alles täglich sehe, ohne meine Augen mit dem Anblick anderer Dinge entspannen zu können. Ohne meinen Augen einen Urlaub vom Alltag, der seit etwa zwölf Jahren der gleiche ist, zu gönnen.
     
    Selbstverständlich versuche ich alles, um meine Einrichtung für mich selbst abwechslungsreich zu gestalten. Das überzählige Zimmer, von dem ich zunächst nicht wusste, wie ich es nutzen sollte, habe ich in ein Lager verwandelt, in dem ganz verschiedene Gegenstände darauf warten, von mir gegen die aktuellen Lieblinge ausgetauscht zu werden. So habe ich nicht nur etwa neunzig verschiedene Gemälde und Bilder, die abwechselnd meine Wohn- bzw. Schlafzimmerwände zieren, sondern zum Beispiel auch ungefähr zwanzig verschiedene Tee-Services, die ich in meiner antiken Vitrine aus Walnussholz, auf die ich sehr stolz bin – ein Erbstück –, präsentieren kann, sicher vierzig oder mehr Vasen, die ich im Internet bestellt habe, in vielen verschiedenen Farben, die ich mit Blumen, die mir Fleurop bringt, bestücke. Den Nippes, den ich in den Jahren angesammelt habe, kann ich gar nicht aufzählen, ich habe eine wahre Sammlerleidenschaft entwickelt, aus Langeweile und fehlender Abwechslung, EBAY sei Dank.
     
    Vielleicht begann alles ganz harmlos. Vage erinnere ich mich an Situationen, wie ein Schnappschuss, wie ein kleines Blitzlicht erscheint es mir heute. Bilder, in denen ich am Telefon stehe – damals noch mit Schnur –, in unbequemer Haltung, ich druckse herum, so wie ich das schon immer tat, wenn ich nicht weiter wusste, stammelnd, das Angebot ablehnend, das mir gemacht wurde. Mit in die Disco zu fahren vielleicht, oder an den Badesee, ohne zu wissen wieso, einfach weil die plötzliche Angst die Überhand gewann, eine irrationale, eine sehr brüchige, die im nächsten Moment bereits weg war, aber die dennoch stark nachwirkte, sodass ich nicht umhin konnte, NEIN zu sagen. Einfach nein, vielleicht weil ich eine kurze Vision davon hatte, wie ich sterbe, im Auto sitzend auf dem Weg zur Disco, zusammengequetscht in einem Auto mit Totalschaden, vielleicht auch von einem anderen Gefährt angefahren, von einem großen Bus, der mich niederstreckt, der mich platt und blutüberströmt auf der Straße liegen lässt, eine Menge kreischender Menschen um mich herum. Kleine Kinder, die brüllen, kleine Teenie-Mädchen, die herzzerreißend weinen, Frauen mit offenen Mündern, die diesen Anblick nicht fassen können. Vielleicht auch vor dem Club von einer Gang blutrünstiger Typen abgeschlachtet, weil ich etwas Falsches entgegnet habe, etwas, womit sie nicht umgehen konnten, etwas, das sie nicht hören wollten, egal, der Möglichkeiten gab es
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