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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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war?
    Wir spazierten die Via Larga hinab. Seit meiner Ankunft in Florenz, vor drei Jahren, hatte ich den Palazzo genau viermal verlassen, und immer nur zu feierlichen Besuchen des duomo, bewacht von Dienerschaft, die mir die Sicht nahm, als würde jede Berührung mit dem gemeinen Volk meine Gesundheit gefährden. Nun, da meine Tante mich zum ersten Mal in die Stadt ausführte, fühlte ich mich wie aus der Gefangenschaft entlassen.
    Die aufgehende Sonne tauchte die Stadt in Safrangelb und Rosa. In den Wohnvierteln nahe des Palazzo hingen noch die Dünste nächtlicher Gelage. In den krummen Gassen mussten wir uns zwischen Pfützen aus Unrat durchschlängeln. Zu gern wäre ich hier und da stehen geblieben, um die in Nischen prangenden Statuen zu bewundern, die kupfernen Herolde des Baptisteriums und die prächtige Fassade des duomo , doch meine Tante zog mich ungeduldig mit sich fort; sie mied den geschäftigen Marktplatz, nahm lieber den Weg durch die rückwärtigen Gassen, wo die alten Häuser sich wie absterbende Bäume neigten und das Tageslicht aussperrten.
    Ich sah den Diener nach dem Messer an seiner Seite greifen. Es war so dunkel hier, und es stank nach Fäulnis. Ich schmiegte mich dichter an meine Tante, als ich magere, zerlumpte Kinder und ausgemergelte Hunde vorbeihuschen sah. Ein paar verwitterte alte Weiber in zerschlissenen Tüchern hockten auf ihren Türstufen und musterten uns mit scheelen Blicken. Nach vielen verwirrenden Abzweigungen gelangten wir schließlich zu einem windschiefen Holzhaus, das aussah, als könnte es jeden Moment einstürzen. Hier blieb meine Tante stehen; ihr Diener pochte an die klapprige Tür.
    Sie schwang auf, und ein schmaler Junge stand da, mit zerzaustem Haar und schläfrigen braunen Augen. Als er uns sah, verneigte er sich tief. »Duchessina, ich bin Carlo Ruggieri. Mein Vater erwartet Euch.«
    Meine Tante drückte mir eine kleine Stoffbörse in die Hand. Ich blickte überrascht zu ihr auf. »Geh«, sagte sie. »Du musst den Maestro allein aufsuchen. Bezahle ihn, wenn er fertig ist.« Ich zögerte, und sie schubste mich an. »Säume nicht, Kind. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Ich nahm an, dieser Carlo müsse wohl der älteste Sohn des Maestro sein; hinter seinem Rücken lugte noch ein kleinerer Junge hervor. Ich lächelte ihn vorsichtig an, und der Kleine wagte sich vor, streckte eine schmuddelige Patschhand nach meinem Rock aus.
    »Das ist mein Bruder Cosimo«, sagte Carlo. »Er ist vier Jahre alt und mag Naschwerk.«
    »Ich mag auch Naschwerk«, sagte ich zu Cosimo. »Aber ich habe heute keines dabei.« Er schien den Klang meiner Stimme zu schätzen und klammerte sich an meine Hand, während Carlo mich in das dämmrige Innere des Hauses geleitete, das von einem seltsam durchdringenden Geruch erfüllt war. Ich erspähte einen vergilbten Totenschädel auf einem Stapel stockfleckiger Pergamente, bevor Carlo mich eine knarrende Treppe hinaufführte. Die Gerüche wurden stärker: Ich roch Kampher, Kräuter und etwas Bittersüßes, das mich an den Herbst gemahnte, wenn die Schweine geschlachtet wurden.
    »Papa!«, hörte ich Carlo rufen, »Papa! Die Medici ist da!« Er schob eine schmale Tür auf und wandte sich zu uns um. »Er will Euch allein sehen. Du musst sie jetzt loslassen, Cosimo.«
    Cosimo schürzte die Lippen und ließ meine Hand los. Ich straffte die Schultern und trat in die Kammer des Maestro. Das Erste, was ich sah, war das Licht. Es strömte in schrägen Strahlenbündeln durch ein offenes Dachfenster hoch oben zwischen den Deckenbalken und erhellte einen Raum, der nicht größer war als mein Schlafgemach im Palazzo. Regale voller Bücher und Gläser mit dunklen Dingen in irgendeiner Flüssigkeit bedeckten die Wände. In einer Ecke stapelten sich Sitzkissen rings um einen Messingtisch. Ein breiter Marmorblock auf Böcken nahm die Mitte des Raumes ein. Ich war überrascht, einen Leichnam darauf zu sehen, halb von einem Leintuch bedeckt.
    Bloße Füße ragten unter dem Tuch vor. Eine Stimme, die von nirgendwoher zu kommen schien, sagte: »Ah, Duchessina, da seid Ihr ja!«, und dann kam der Maestro in Sicht, schlurfend, hohlwangig, silberbärtig, eine fleckige Schürze über dem schwarzen Gewand. Er winkte mich heran. »Möchtet Ihr mal sehen?«
    Ich trat näher. Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand des Blocks zu schauen. Der Leichnam war der einer Frau mit geschorenem Kopf, die von der Kehle bis zur Leiste aufgeschlitzt war. Es gab
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