Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
Vom Netzwerk:
ich meiner Tante erzählt hatte, dass der Maestro den Fall Roms voraussagte. Auch ich hatte mich verändert. Seit der Entdeckung meiner geheimnisvollen Gabe stellte ich heimlich alles infrage. Obwohl es mir damals noch nicht bewusst war, hatte ich aufgehört, ein leichtgläubiges Kind zu sein. Ich versuchte, meine Gabe heraufzubeschwören, in der Hoffnung, die Zukunft zu sehen, doch ich hatte keine Visionen, keine Vorahnungen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung davon, wie sehr mein Leben sich bald verändern würde.
    Meine Zofe eilte durchs Zimmer und stopfte meine silbernen Haarbürsten, meine Schultertücher und Schuhe in eine Stofftasche. »Gehen wir auf Reisen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Madama hat mir nur befohlen, Eure Sachen zu packen. Mehr weiß ich nicht. Ihr Diener erwartet Euch draußen.«
    »Dann sieh zu, dass du meine Schatulle einpackst.« Ich zeigte auf mein Elfenbeinkästchen mit Silberbeschlägen, das Einzige, was ich von meiner Mutter hatte. Sie hatte es als Teil ihrer Aussteuer aus Frankreich mitgebracht, und das rote Samtfutter duftete noch immer schwach nach Lavendel. Ich hatte Ruggieris Phiole im Geheimfach des Kästchens verwahrt.
    Der Palazzo war dunkel, still. Ich konnte das Tappen meiner weichen Sohlen auf dem Marmorboden hören, gefolgt vom Stiefelschlurfen des Dieners, der mich in die Halle geleitete. Ich fand meine Tante wartend inmitten etlicher aufs Geratewohl angehäufter Koffer und Kästen. Die hohen Wände waren bar aller Teppiche und Gemälde, das vergoldete Mobiliar in den Ecken gestapelt.
    Meine Tante umfing mich und drückte mich so fest, dass mir das Mieder in die Rippen schnitt. »Du musst jetzt tapfer sein«, raunte sie. »Tapferer denn je. Die Zeit ist gekommen, der Welt zu zeigen, dass du eine echte Medici bist.«
    Ich stand wie versteinert da. Was war geschehen? Warum sagte sie so etwas zu mir?
    »Du kannst es nicht verstehen«, fuhr sie mit bebender, tränenerstickter Stimme fort. »Aber ich habe keine andere Wahl. Sie haben es befohlen. Die Signoria von Florenz hat uns verbannt. «
    Ich wusste, dass die Signoria die von der Bürgerschaft gewählte Regierung von Florenz war. Im Unterschied zu anderen Stadtstaaten war Florenz eine Republik und überaus stolz darauf. Die Signoria war uns immer wohlgesinnt gewesen. Oft genug hatten sie im Palazzo diniert, eine Gruppe älterer Herren, die zu viel aßen und tranken und mir augenzwinkernd Komplimente machten.
    Meine Tante steigerte sich in einen leidenschaftlichen Tonfall, als hätte sie vergessen, dass ich vor ihr stand. »Eine Schande ist das! Aus der eigenen Stadt hinausgejagt wie Diebe in der Nacht! Ich habe es ja immer gesagt, dieser Clemens wird unser Untergang sein. Er hat sich das alles selbst eingebrockt. Es ist mir egal, was mit ihm passiert – aber du, mein Kind, meine Caterina, du sollst nicht für seine Verbrechen büßen müssen.«
    »Verbrechen?«, fragte ich. »Was hat Papa Clemens denn getan?«
    »Nein! Nenn ihn niemals mehr so! Jedermann hasst ihn, weil er alles tun würde, um seine eigene Haut zu retten. Verstehst du? Er ist von seinem Heiligen Stuhl geflohen, als Karl der Fünfte Rom eingenommen hat. Keiner darf auf den Gedanken kommen, dass du noch an dem Feigling hängst, der es wagt, sich Papst zu nennen.«
    Ich starrte sie an. War sie verrückt geworden? Karl V., aus der Dynastie der Habsburger, war Kaiser von Spanien und Österreich, der Deutschen und der Niederlande. Er war ein glühender Verteidiger des rechten Glaubens, obwohl ich meinen Onkel einst sagen hörte, er sei ungemein geldgierig, rücksichtslos auf Eroberungen aus und liege stets im Streit mit den schlauen Franzosen oder den häretischen Engländern. Doch immerhin trug er die Krone des Heiligen Römischen Reiches, von päpstlicher Gunst gesegnet, und ich konnte nicht glauben, dass er sich erdreisten würde, Rom zu überfallen.
    »Dieser Clemens«, fuhr meine Tante mit brechender Stimme fort, »hätte den Forderungen des Kaisers Folge leisten und das Geld zur Erhaltung der kaiserlichen Truppen aufbringen sollen. Aber stattdessen musste er sich ja auf seinen idiotischen Stolz berufen und die Franzosen unterstützen, obwohl die Soldaten schon an seine Tore klopften.« Sie schüttelte die Fäuste. »Und nun steht die Heilige Stadt in Flammen, und Florenz rebelliert gegen uns. Er hat uns alle ins Verderben gestürzt!«
    Sie wandte sich wieder mir zu. Das plötzliche Schweigen, in das sie verfiel, war schlimmer als alles, was ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher