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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit
Autoren: Evelyne Okonnek
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sie weniger hart. Die Männer hatten nur versucht ihre Stadt zu verteidigen. Lasair kümmerte sich mit Glics Hilfe unermüdlich darum, das Leben von Menschen und Aos Sí wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Aber die Menschen blieben misstrauisch und voller Angst. Manchmal fragte sich Lasair verzweifelt, wie lange es dauern würde, jahrhundertelang in Herz und Verstand eingehämmerte Vorurteile zu überwinden, und ob es überhaupt gelingen konnte. Würde es eine gemeinsame Zukunft für die beiden Völker auf der Insel geben?
    »Lass uns Ardal und Benen besuchen«, sagte Glic eines Tages, als er genug vom Starrsinn auf beiden Seiten hatte. Das Wort Grab sprach er nicht aus. Lasair nickte, sie war so müde. Niedergeschlagen setzte sie sich unter die Weide und strich mit der Hand über das Gras. Glic betrachtete den wolkenfreien Himmel, an dem eine blasse Sonne zu sehen war. Sie hatte noch nicht genug Kraft, um zu wärmen, trotzdem war das Licht tröstlich nach der langen Dunkelheit.
    »Wird es eigentlich aufhören zu regnen, jetzt wo Néal tot ist?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht, warum?«, sagte Lasair verwirrt.
    »Nun, Grians Tod hätte das Ende der Welt bedeutet. Aber ohne Regen wird alles verdorren. Néal heißt doch Wolke, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt.« Lasair fehlte eine klare Vorstellung, worauf Glic hinauswollte.
    »Du hast mir damals in eurer Zauberhöhle erklärt, dass Namen meist für die Kräfte stehen, die man besitzt. Du beherrschst das Feuer, Aithreo den Frost, wie ich am eigenen Leib erfahren habe, und ich denke, Néal hat es all die Jahre regnen lassen.«
    »Das glaube ich auch«, sagte Lasair ernst und schaute in den blassblauen Himmel. »Die Wolken waren seine Schöpfung. Selbst wenn sie für immer verschwunden sind, es gibt noch Seen, Flüsse, Nebel, Schnee. Wir haben Wasser in allen Formen.«
    »Aber keinen Regen. Irgendwie würde ich ihn vermissen«, sagte Glic und kaute gedankenverloren auf einem Halm.
    »Warte ab, alles ist ein ewiger Kreislauf.« Wie konnte sie das Wissen weitergeben, das die Aos Sí von Anbeginn ihrer Entstehung durch ihr eigenes Sein erlebten? Es gab keine Worte dafür, erst recht nicht in der Welt der Menschen, in der so vieles in einem Atemzug verging.
    Glic runzelte die Stirn. »Machst du dich lustig über mich? Ich verstehe kein Wort.«
    »Dafür bist du noch zu jung!« Ihr war bewusst geworden, dass sie für Glic uralt sein musste. Lasair schüttelte sich vor Lachen.
    Erst schaute er beleidigt, dann ließ sich Glic von ihrer Fröhlichkeit anstecken. Es tat ihm gut, sie so zu erleben. Gerne hätte er auch in Dorcs Gesicht ein Lächeln gesehen. Langsam machte er sich große Sorgen um den Freund. Er war immer noch nicht aufgetaucht.
    »Lasair, ab morgen musst du alleine unsere Welt retten. Ich werde Dorc suchen«, sagte er.
    »Die Welt kann warten. Ich komme mit!«
    Die nächsten Tage durchkämmten sie jeden Winkel, aber sie konnten Dorc nirgends finden.
    »Lass uns hinunter in den Hafen zum Bootshaus gehen«, sagte Glic.
    »Dort waren wir schon!«
    »Ich weiß, aber ich habe gute Erinnerungen an den Ort. Deshalb möchte ich noch einmal hin.«
    Lasair sagte nichts mehr. Stumm gingen sie durch die Gassen und die steile Treppe hinab, auf der sie nur ein paar Fischern begegneten, die sich ängstlich an ihnen vorbeidrückten. Die Farbe des Meeres hatte sich geändert, das Grau war heller geworden, bloß die lustigen weißen Vögel waren immer noch die gleichen. Glic konnte die Schläge einer Axt hören, ein Fischer besserte wohl sein Schiff aus. Neugierig schlenderte er hinüber zu dem verwitterten Bootshaus, das Tor stand offen. Im Halbdunkel konnte er das Skelett eines Schiffsrumpfes sehen und einen Mann, der einen alten Baumstamm bearbeitete. Auf dem Boden neben ihm lagen frisch gehauene Planken. Auch Lasair steckte jetzt den Kopf durch die Tür und beinahe gleichzeitig erkannten sie den vermeintlichen Fischer.
    »Wo bist du gewesen?«, riefen sie wie aus einem Mund. Sie bekamen keine Antwort, Dorc blickte nicht einmal auf. Ein klein wenig fühlte sich Glic jetzt doch von der Missachtung gekränkt. Aber auf eine seltsame Weise erinnerte ihn das an die Zeit, als Dorc sich nach seiner Rettung in sich selbst verkrochen hatte. Glic schluckte seinen Stolz hinunter, ging zu dem Holzstapel und untersuchte ihn, als ob nichts gewesen wäre.
    »Hier, das Brett könnte einen Hobel gebrauchen«, sagte er. Gleich darauf hatte er einen geholt und begann mit der Arbeit.
    Lasair
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