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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit
Autoren: Evelyne Okonnek
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seiner Amme, während sich Aurnia nach der größten Tat ihres Lebens um die eigene Zukunft und ihr Aussehen Sorgen machte. Mit einem gequälten Ausdruck lehnte sie in den seidenen Kissen und ließ sich von Dervla, ihrer liebsten Dienerin, die goldenen Locken bürsten. Warum nur hatte ihr Sohn nicht ihre Schönheit geerbt, dachte sie verdrießlich. Sein Gesicht war rot und faltig gewesen, der dichte Haarschopf rabenschwarz wie bei einem niederen Bauern. Sie hatte ihm nur einen flüchtigen Blick geschenkt, um ihn dann allzu gerne der Amme zu überlassen, die ihn förmlich an sich riss. Das dumme Weib schien sich unsagbar über den Säugling zu freuen und hütete ihn wie seinen Augapfel. Aurnia kümmerte es nicht, dass sie ihn weder genauer anschauen noch in den Armen halten konnte. Für sie war er bisher nichts als eine Last gewesen, die ihren Körper entstellte und Schmerzen verursachte. Verärgert betrachtete sie ihren immer noch unförmigen Leib und schickte Dervla fort. Doch so erschöpft sie auch war, schlafen konnte sie nicht. Durch die geschlossenen Fenster drang der Lärm der feiernden Menschen in den Gassen von Kerlonrax. Vermutlich tanzten sie ausgelassen um das Heiligtum Jalluths, das Aurnia seit jeher nur als hässlich und bedrohlich empfunden hatte und nach Möglichkeit mied. Der große achteckige Klotz von einem Gebäude war ein Fremdkörper zwischen den schmalen Häusern. Mit seinen Zinnen wirkte er wie die aus Granit gehauene Krone eines Größenwahnsinnigen. Ob daher das Trachten der Priesterschaft rührte, die wahre Macht im Land zu sein? Aurnia konnte jedenfalls nicht verstehen, dass sich die Menschen auf der Suche nach Rat und Trost freiwillig dort hineinbegaben. Kein Mensch wirkte so kalt und unnahbar wie der Erwählte Jalluths und auch die verschworene Gemeinschaft der Priester flößte ihr nur Unbehagen ein. Ihr gingen langsam die Ausreden aus, warum sie sich selten im Heiligtum blicken ließ. Vielleicht würden die Jalluthiner sie jetzt endlich in Ruhe lassen. Schließlich hatte sie den Priestern das geliefert, wonach sie sich am meisten sehnten: einen Thronerben, den sie von Anfang an nach ihren Wünschen formen konnten. Niemand hatte mehr an dieses Wunder geglaubt, war doch die vorherige Ehe des Königs kinderlos geblieben. Aurnia wusste, dass heimlich Genugtuung über den tödlichen Unfall der ersten Frau herrschte. Auch wenn diese wegen ihrer Mildtätigkeit beliebt gewesen war, hatte das ihre Unfruchtbarkeit nicht aufgewogen. Jetzt war die Ordnung wiederhergestellt und die Priester würden viele Stunden mit Inbrunst für das Wohlergehen des Jungen beten. Aurnia verzog die Lippen und fragte sich, ob für sie ebenfalls ein Gebet abfallen würde. Wohl kaum; nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, war sie nicht mehr wichtig, Königin dem Titel nach, doch ohne jede Macht. Entscheidungen fällten andere, selbst nach dem Tod ihres Gatten. Der Gedanke an ihn ließ die mühsam unterdrückten Tränen hochsteigen. Nie würde sie die Nacht vergessen, als der alte König so unerwartet zu Kräften kam, sein Krankenlager verließ und sie ein letztes Mal aufsuchte. Hatte er sich am Anfang der Ehe an ihrem jungen Körper erfreut, war seine Leidenschaft bald völliger Gleichgültigkeit gewichen. Aber der Gipfel ihrer Erniedrigung war noch längst nicht erreicht. Das geschah erst in jener nächtlichen Stunde, die er bei ihr verbrachte. Damals war sie sich vorgekommen wie Nutzvieh. Zu deutlich hatte sie seine Kälte gespürt, ja einen regelrechten Widerwillen, sie auch nur zu berühren, und dies hatte sie aufs Tiefste gedemütigt. Keine liebevollen Gefühle und Sehnsucht trieben ihn zu ihr, sondern die Pflichterfüllung seinem Volk gegenüber. Hätte sie es nicht bereits geahnt, spätestens in jener Stunde wäre ihr unbarmherzig klar geworden, dass ihre Träume von Liebe und Achtung sich nie erfüllen würden und sie nichts als ein Ding für ihn war, das ihm einen Thronfolger gebären musste. Diese Erkenntnis war sein höhnisches Vermächtnis an sie, denn bald darauf starb er. Ach, hätte sie nur alle genarrt und eine Tochter zur Welt gebracht, dachte sie bitter. Doch das wäre zu ihrem eigenen Nachteil gewesen. Jetzt blieb ihr zumindest noch für ein paar Jahre die Stellung bei Hofe erhalten, auch wenn in Wirklichkeit der Erwählte Jalluths regierte und sie nur ein hübsches Gesicht sein sollte, das huldvoll lächelte, um die anderen zu erfreuen. Mehr wollte man nicht von ihr und mehr war sie auch nicht
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