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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit
Autoren: Evelyne Okonnek
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bereit zu geben, das galt genauso für ihren Sohn. Natürlich erwarteten alle Mutterliebe von ihr, doch wie könnte sie etwas lieben, das ihr aufgezwungen worden war! Nein, niemals! Aber sie würde das höfische Spiel, das man ihr von klein auf beigebracht hatte, mit Anmut und Würde spielen. Ihr Vater hatte die Regeln nicht umsonst mit der Gerte in ihre Seele eingraviert. Sein Ehrgeiz war seit jeher gewesen, sie als schmückendes Beiwerk neben dem König zu sehen, da ihm ein Sohn und somit der Thron selbst zeit seines Lebens verwehrt blieb. Nun hatte es das Schicksal gefügt, dass sie als Frau den begehrten Platz einnahm, und doch durfte sie nichts sein als eine Puppe ohne eigene Gedanken oder Gefühle. Und das sollte auch alles sein, was sie von ihr verlangen konnten, schwor sie, um sich einen Rest von Stolz zu bewahren. Mit diesem Entschluss weinte sich Aurnia in ihrem königlichen Bett in den Schlaf.

    So wie vorhergesagt, wurde in derselben Nacht ein zweites Kind geboren, doch diesem waren die Umstände nicht wohlgesonnen. Es kam in einer winzigen Hütte zur Welt; die Mutter, eine unverheiratete Magd, musste die Geburt ohne fremde Hilfe zuwege bringen. Nachdem sie ihren Sohn gesäubert, in ein Tuch gewickelt und gestillt hatte, legte sie ihn in den Waschzuber. Für eine Wiege besaß sie nicht genügend Geld. Sie selbst hockte mit angezogenen Beinen auf der Pritsche, kaute an ihrem Zopf und dachte über ihr Schicksal nach. Es war ein Fehler gewesen, die Stadt zu verlassen. Sicher, die Menschen hier hatten mehr zu essen, aber sie folgten ganz eigenen Vorstellungen. Für die Leute aus dem Dorf war Jalluth weit weg und manchmal hatte sie sogar den Eindruck, die Bauern hielten die heilige Flamme für eine Spinnerei der Stadtbewohner. Überhaupt hegten diese Dummköpfe hier ein Misstrauen gegen alles, was aus Kerlonrax kam. Wie lange hatte es gedauert, bis sie diese elende Hütte zugewiesen bekam und mit Aufgaben betraut wurde, die ihr Überleben sicherten! Doch mit einem unehelichen Balg würde sie kaum weitere Arbeit finden, wovon sollte sie also leben?
    Er hat mich reingelegt, dachte sie wütend und verfluchte den Liebhaber, der ihr versprochen hatte, er würde für sie sorgen, sobald das Kind da wäre. Immer wieder hatte er behauptet, dieses Kind sei das größte Glück seines Lebens, als sie darüber nachdachte, es mithilfe eines für diesen Zweck zusammengestellten Kräutersuds wegzumachen. Er wirkte richtig verzweifelt, als er versuchte, sie davon abzuhalten. Mit Inbrunst beschwor er vor ihren Augen das Bild eines gemeinsamen Lebens im Überfluss herauf, sobald er seinen Geheimauftrag erfüllt hätte. Sie schnaubte verächtlich. Seit Wochen hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Die Taler, die er ihr bei seinem Aufbruch überreicht hatte, waren ausgegeben, und wo sollte sie ihn suchen? Er hatte nie verraten, wo er wohnte und für wen er arbeitete. Alles, was sie wusste, war, er hatte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Wie sie diese Heimlichkeiten satt hatte! Immer nur bei Nacht war er gekommen, nie hatte sie ihn jemandem vorstellen dürfen, sogar auf das Dorffest am Ende des Sommers musste sie alleine gehen. Das Schlimmste aber waren die gehässigen Bemerkungen der anderen über ihren dicken Bauch gewesen. Und nun sah es so aus, als ob der Verursacher des peinlichen Zustandes sie endgültig im Stich gelassen hätte.
    »Verdammter Mistkerl!«, rief sie aufgebracht. Aus seinem Schlaf gerissen brüllte der Säugling, bis sie zu ihm ging und ihn auf den Arm nahm. Aus seinen zusammengekniffenen Augen kullerten Tränchen. Sie wiegte ihn und strich über seine roten Löckchen. Es wäre besser gewesen, er hätte die unauffällig dunkle Haarfarbe seines Vaters geerbt. Zu sehr ärgerten sie die Hänseleien. Die Kinder wurden nicht müde ihr »Feuerkopf« oder »Fuchsbraut« hinterherzurufen. Als ihr Sohn sich beruhigt hatte, legte sie ihn wieder in den Zuber und deckte ihn mit ihrem wollenen Umhang zu. Sie besaß nur eine Decke und die brauchte sie selbst. Das Kind strampelte und öffnete zum ersten Mal richtig die Augen. Überrascht schob sie den Untersetzer mit der Kerze näher heran. Es konnte, durfte nicht sein, was sie sah. Mit angehaltenem Atem beugte sie sich nach unten und schaute dem Jungen ins Gesicht. Leuchtende Grüntöne wirbelten und flimmerten um schwarze Pupillen. Dämonenaugen! Entsetzt wich sie zurück und starrte auf das Wesen, das aus ihrem Bauch gekrochen war. Was für einem ungeheuerlichen Verrat war
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