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Silentium

Silentium

Titel: Silentium
Autoren: Wolf Haas
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    Jetzt ist schon wieder was passiert. Und ausgerechnet im Marianum, wo man glauben möchte, da kommt der brave Bauernbub als Zehnjähriger auf der einen Seite hinein und acht Jahre später als halbfertiger Pfarrer auf der anderen Seite wieder heraus. Kein Wunder, daß so lange niemand Verdacht geschöpft hat. Weil eigentlich unfaßbar, daß ausgerechnet in der saubersten Internatsschule von ganz Salzburg so etwas möglich war.
    Aber weil ich gerade sage sauber. Das ist natürlich nicht im streng hygienischen Sinn gemeint. Weil gestunken hat es schon immer ein bißchen im Internat, sprich Ausdünstung von Internatsbuben nicht immer ganz Rosengarten. Und wie sie dann im Marianum auf einmal einen Detektiv gebraucht haben, sind dem auch in den ersten Tagen vor allem die eigenartigen Gerüche aufgefallen. Weil so ein Internat hat Gerüche, die findest du sonst nirgends.
    Schulklassen stinken natürlich immer, das stimmt schon, da kriegen ja die Lehrer sogar eine eigene Belastungszulage, und finde ich vollkommen richtig. Weil wenn du mit zwanzig, dreißig Halbwüchsigen in eine Klasse eingesperrt bist, kommst du natürlich schon auf Gedanken, daß du den einen oder anderen Schüler, der sowieso nichts begreift, gern gegen ein Duftbäumchen eintauschen würdest.
    Aber Internat noch einmal ganz was anderes. Wie der Brenner im Marianum angekommen und in das leerstehende Hilfspräfektenzimmer eingezogen ist, hat ihn der Geruch sofort an die Polizeikasernen erinnert. Weil neunzehn Jahre Polizist gewesen, bevor er sich selbständig gemacht hat, und da erinnert dich im restlichen Leben natürlich alles an die Polizei.
    Und ob du es glaubst oder nicht, jedes Stockwerk in dieser riesigen alten Internatsburg hat wieder seinen eigenen Geruch gehabt. Aber richtig zuordnen haben sich die Gerüche trotzdem nicht lassen. Küche und Speisesaal waren zwar im Erdgeschoß, aber die ranzigen Essensgerüche sind durch das ganze Haus gezogen, und obwohl sie die neue Hauskirche direkt in das Dach hineingepflanzt haben, also vier Stock von der Küche entfernt, hat sie oft gerochen wie das reinste Wirtshaus.
    Architektonisch war die Dachkirche ein Meisterwerk, da haben sie vor zehn Jahren ein supermodernes Vogelnest auf die alten Klostermauern gesetzt, und beim Eintreten hat dich fast der Schlag getroffen, weil Kirchendecke komplett aus Glas, praktisch Himmel zum Greifen nahe. Aber geruchstechnisch problematisch. Weil aus irgendeinem Grund hat es die Küchendämpfe hinaufgesaugt.
    Aber unglaublich, wie schnell der Mensch sich an neue Gerüche gewöhnt, und am dritten Tag hat der Brenner sie schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Natürlich kein Problem, weil er ist ja vom Internatsleiter sowieso nicht angestellt worden, damit er die Gerüche analysiert. Der Herr Regens hat ja nicht einen Detektiv für die Gerüche gebraucht! Sondern paß auf, was ich dir sage.
    Normalerweise war der Brenner nicht so ein Feinspitz bei den Gerüchen. Wenn du neunzehn Jahre bei der Polizei warst, dann hast du genug Gelegenheiten gehabt, um dir solche Empfindlichkeiten abzugewöhnen. Und der Brenner sowieso nie sehr auf der überzüchteten Seite. Schon rein das Äußerliche. Ein untersetzter Brocken mit einem Gesicht, an dem die Pockennarben noch das Glatteste waren, weil ihm die beiden steilen Falten gleich zentimetertief in die Wangen geschnitten haben. Sprich nur eine Preisfrage mit sehr geringem Schwierigkeitsgrad, ob es sich hier eher um einen österreichischen Exbullen oder um einen berühmten französischen Parfumschnupperer handelt.
    Daß ihn ausgerechnet im Marianum auf einmal die Gerüche so beschäftigt haben, das war wieder einmal, wie soll ich sagen, da möchte ich gar nichts beschönigen. Das war eben der Brenner. Das ist ihm beim Ermitteln oft schon ein bißchen im Weg gestanden. Immer das Unwichtige zuerst. Das war eine Krankheit, von der ist der Brenner einfach nicht losgekommen. Immer mit der Kirche ums Kreuz. Bei der Polizei haben seine Vorgesetzten versucht, es ihm auszutreiben, aber nichts da, der Brenner ist nicht einen Millimeter von seiner Methode abgerückt. Und das Schlimmste daran ist, sie ist ansteckend. Ich merke ja gerade, daß ich auch mit dem Unwichtigsten angefangen habe. Weil am Ende vier Tote, da braucht man sich an und für sich nicht eine Ewigkeit mit den Gerüchen aufhalten. Aber wo ich schon dabei bin, erzähle ich dir noch ganz schnell, wie es dazu gekommen ist, daß den Brenner auf seine alten Tage auf einmal die Gerüche
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