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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit
Autoren: Evelyne Okonnek
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der Erwählte am Fuß der Klippe, umrahmt von dem schwarzen Maul der Höhle, die zu den Kerkern führte. Das Meer schien zu kochen. Schlangengleiche Leiber wimmelten in der Bucht. Hunderte von Muränen stürzten sich auf die angebotene Beute. Die Flammenkrieger schwitzten und fluchten, während sie die Gefangenen einen nach dem anderen über einen behelfsmäßigen Steg ins Wasser warfen. Manche versuchten noch zurück ans Ufer zu gelangen, aber zu schnell wurde ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen. Zufrieden sah der Erwählte, dass die Gruppe der Unglückseligen kleiner wurde. Das erbärmliche Jammern und Winseln würde ein Ende finden. Es hatte lange gedauert, jeden nach unten schaffen zu lassen, die Verliese waren gut gefüllt gewesen. Nun würde ihnen niemand mehr helfen können.
    »Ihr kommt zu spät!«, murmelte er und fühlte, wie die Angst in ihm ein wenig zurückwich. Endlich war er wieder Herr des Geschehens, seit er vor ein paar Stunden begriffen hatte, dass er hintergangen worden war. All die Jahre hatten sie sich verborgen gehalten und vermehrt wie die Ratten, sie hatten nur darauf gelauert, dass seine Aufmerksamkeit nachließ! Warum waren seine Männer nie auf das Versteck gestoßen? Er hatte die ganze Insel umdrehen lassen, sogar der große Wald war dem Erdboden gleichgemacht worden, doch es hatte kein Anzeichen gegeben, dass es Überlebende gab. Nein, da musste er sich berichtigen. Eine Truppe Flammenkrieger war vor nicht allzu langer Zeit in den Bergen verschollen. Statt nachzuforschen, hatte er sich mit der Erklärung begnügt, die tückischen Wetterverhältnisse hätten die Männer umkommen lassen. Der Erwählte knirschte mit den Zähnen, als er darüber nachdachte, dass er auch den deutlichsten Hinweis übersehen hatte. Warum war er nie auf die Idee gekommen, dass die nicht enden wollende Zahl der Mischlinge seltsam war? Sie hätten längst ausgerottet sein müssen! Er verfluchte sich für seine Blindheit und seinen Stolz, der ihn hatte glauben lassen, bereits gesiegt zu haben. Nicht einmal bei der Entdeckung des einen Jungen war er aufgewacht! Sie würden dafür bezahlen, so viel war gewiss. Ein Teil ihrer widerlichen Brut würde demnächst im Meer verschwunden sein.
    Eines der Opfer schrie gellend auf, der Stimme nach war es wohl einmal eine Frau gewesen. Das riss ihn aus seinen Gedanken. Zum Glück brachten die hungrigen Muränen sie rasch zum Schweigen. Nicht mehr lange, und es gäbe nur noch zwei Dinge, um die er sich kümmern musste. Sobald hier alles erledigt war, würde er den Maler nach unten in sein Versteck schaffen. Bei der alten Quelle gab es genügend Räume, in die er ihn einsperren konnte. Der Krüppel war ohnehin unmöglich in der Lage, zu fliehen. Vermutlich würde er ihn nicht brauchen, denn er konnte sich kaum vorstellen, dass die Dämonen nach Jahrhunderten der Verfolgung noch ein friedliches Zusammenleben mit den Menschen wünschten. Doch sollte Aurnia wider Erwarten auch künftig eine scheinbar führende Rolle spielen, dann war es gut, wenn er etwas in der Hand hatte, um sie nach seinen Vorstellungen zu lenken. Sie hatte den Maler immer noch nicht vergessen. Oft stand sie vor ihrem Porträt, wie er von Dervla erfahren hatte. Die Närrin glaubte, dass Aurnia sich selbst bewunderte, aber in Wirklichkeit erinnerte sich die Königin in jenen Momenten wohl daran, wie das Bild entstanden war. Er wusste genug, um sicher zu sein, dass sie mit aller Macht an dem Krüppel festhielt. Sonst wäre sie nie das Risiko eingegangen, den windigen Hund Mórtas zu benutzen. Bis jetzt hatte er sie in dem Glauben gelassen, dass es ihr gelungen war, ihn, den allmächtigen Erwählten, zu hintergehen. Hintergehen! Beinahe hätte er aufgelacht. Sie würde schon merken, dass ihre Liebe nichts als ewigen Schmerz brachte. Sein Mund verzog sich zu einem schmalen Strich. Nein, die Zeit schenkte keine Heilung!
    Die Flammenkrieger wollten mit ihrer Arbeit einfach nicht fertig werden. Eigentlich hatte er bis zum Schluss bleiben wollen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass alles erledigt war. Aber er musste sie sehen. Dort, an ihrer Seite, würde er abwarten, ob der ersehnte und zugleich gefürchtete Augenblick gekommen war, die Welt endgültig in Dunkelheit zu versenken. Entschlossen drehte er sich um und ging hinein in die Höhle. Er folgte dem gewundenen Gang zu den Kerkern. Doch ein ganzes Stück vor der Wendeltreppe blieb er stehen und schaute sich gründlich um. Nachdem er sich
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