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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit
Autoren: Evelyne Okonnek
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vor ihm auf.
    Erst war es dunkel vor ihnen, doch gleich darauf wurde wie von Zauberhand alles in Licht getaucht. Sie sahen einen runden Raum mit weiß getünchten Wänden. In der Mitte befand sich ein gemauertes Podest und darauf stand ein eiserner Sarg.
    »Grian?«, flüsterte Lasair und ging zögernd darauf zu, als fürchtete sie, was sie dort erwartete.
    Aithreos Blick folgte den Ketten, die am Deckel befestigt waren. Glic trat neugierig vor und sah erstaunt, dass der Deckel aus Gitterstäben gefertigt war. Als er sich vorbeugte, um hineinzuschauen, fuhr er zurück und rieb sich die Augen. Er musste sich täuschen! Doch als er sich vergewissern wollte, war sie immer noch da. Mit offenem Mund starrte er sie an. »Dorc!«, sagte er atemlos. Bisher war Lasair die schönste Frau gewesen, die er je gesehen hatte, aber im Vergleich zu diesem Wesen war sie geradezu unscheinbar. Dorc antwortete nicht, er war ebenfalls überwältigt. Die Frau in dem Sarg lag bewegungslos da.
    »Ist sie tot?«, fragte Glic ängstlich. Lasair schüttelte langsam den Kopf, und er sah erst jetzt, dass Tränen über ihr Gesicht liefen. Gerührt strich er etwas unbeholfen über ihren Arm. »Wir holen sie da raus!«, sagte er und schaute sich die Ketten an. Sie waren an einem Flaschenzug mit dicken Seilen befestigt, stellte er fest. Das müssten sie hinkriegen! Er stieß Dorc in die Seite. »Komm, wach auf! Dort drüben müssen wir hin.«
    Gemeinsam brauchten sie nicht lange, um den Deckel weit genug nach oben zu ziehen.
    »Holt sie raus, schnell!«, sagte Lasair.
    Die beiden hatten Angst, die zarte Gestalt anzufassen, aber für Lasair oder Aithreo war es unmöglich, das zu tun, ohne das Eisen zu berühren.
    »Fass du oben an!«, sagte Glic und schob einen Arm unter die Beine Grians. Es war überraschend leicht, sie aus dem Sarg zu hieven, denn Grian schien kaum etwas zu wiegen. Vorsichtig legten sie sie in Lasairs ausgebreitete Arme, die sie mit einem erstickten Schluchzen an sich drückte.
    Aithreo legte eine Hand auf ihren Arm. Seine Miene war undurchdringlich. »Wir müssen gehen!«, sagte er drängend.
    Lasair nickte und setzte sich in Bewegung. Glic wollte vorauseilen, doch als er über die Schwelle ging, sah er, wie sich eine der anderen Türen öffnete. Glic prallte zurück und schlug unwillkürlich die eigene Tür hinter sich zu. Schwer atmend lehnte er sich dagegen.
    »Was ist?«, fragte Dorc.
    »Der Erwählte!«, keuchte Glic.
    »War er allein?«, wollte Dorc wissen.
    »Ich glaube schon.«
    »Du glaubst?« Dorc zog die Augenbrauen hoch.
    »Ja, ja, er war allein.«
    »Geh weg von der Tür, du Narr! Wir müssen ihm nach. Er wird die anderen alarmieren!«, rief Aithreo.
    Widerstrebend gab Glic den Weg frei. Aithreo riss die Tür wieder auf und sog gleich darauf scharf die Luft ein. Vor ihm stand der Erwählte und lächelte.

    Zusammengekrümmt, die Arme um den Oberkörper geschlungen, hatte sie auf den Stufen gesessen und sich vor und zurück gewiegt, während sie haltlos schluchzte. Bis hierher, etwas mehr als drei Stockwerke tief, war sie gekommen. Doch noch vor der vierten Ebene hatten sie die Gerüche und Ängste überwältigt und eine Flut von furchtbaren Erinnerungen und jahrelang unterdrückten Gefühlen aufsteigen lassen, die sie nicht mehr einzudämmen wusste. Erst war sie wie gelähmt gewesen und konnte keinen einzigen Schritt mehr gehen. Lange stand sie einfach nur da, dem Strom von Bildern in ihrem Inneren ausgeliefert, bis sie endlich in die Knie ging und die Erstarrung sich löste. Irgendein Teil von ihr sah sich selbst entsetzt zu, mahnte, schimpfte, wollte sie zwingen sich zusammenzureißen, allein es half nichts. Ohnmächtig und sich vollkommen verlassen fühlend weinte sie haltlos wie ein kleines Kind.
    Sie hatte jedes Gefühl für Zeit verloren und wusste nicht, wie lange sie schon hier saß. Erst als sie auf einmal den Eindruck bekam, dass sich jemand näherte, gelang es ihr, wenigstens ein Quäntchen an Beherrschung aufzubringen. Die Hände auf den Mund gepresst, um das Schluchzen zu ersticken, lauschte sie, und ihr Herz raste. Nichts weiter geschah. Hatte sie sich das nur eingebildet? Sie hatte keine Schritte gehört. Oder doch? Die Verwirrung und die Furcht vor Entdeckung rissen sie aus der Verzweiflung und halfen ihr die Fassung ein wenig zurückzugewinnen, genug jedenfalls, um aufzustehen und sich weiter die Wendeltreppe in die Kerker hinabzutasten, während ihr immer noch Tränen übers Gesicht strömten. Ihre
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