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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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Umstände ihn dazu machten. Hephzibah hatte viel zu tun, Treslove war vergesslich, das Wetter meist ungünstig, und Libor wollte nicht, konnte nicht und verschwand schließlich aus Tresloves Leben wie ein zu wenig beachtetes Gespenst. Dabei hatte sich Treslove so danach gesehnt. Für ihn versinnbildlichte der Traum eine Lebensart. Nicht den Pfad zu einer neuen Lebensweise, auch wenn er sich als anderer Mensch daraus hervorgehen sah, sondern das neue Leben selbst. Ein Leben, das eben daraus bestand – aus Spaziergängen mit Hephzibah und Libor in ihrem Quasi-Eden, und sei es in Sachen Natur noch so unbestimmt, an jedem Arm einen Juden und in der Mitte auch einer, jedenfalls so gut wie.
    Nun, die Symmetrie war durchbrochen. Eigentlich aber war es nur Tresloves Traum gewesen, niemand sonst hatte sich dafür erwärmt.
    Doch Treslove suchte nach einem Weg hinaus – oder hinein. Libor hatte seinen Weg gewählt. Und Hephzibah war glücklich gewesen, bis Treslove auftauchte und sie ins Unglück idealisierte.
    Und so war nun jeder Spaziergang im Park ein Spaziergang im Gedenken an das neue Leben, das nie begonnen hatte. Wer ihn beobachtete – aber wer hätte ihn beobachten sollen? Hundeausführer achten nur auf das, was sich am Ende ihrer Leine befindet, Jogger nur auf ihren Herzrhythmus –, hätte ihn für einen Mann in Trauer gehalten.
    Allerdings konnte niemand wissen, wie sehr und um wie viele er trauerte.

    Er hätte im Nachhinein nicht sagen können, was ihn an diesem besonderen Tag veranlasste, zum Park zurückzukehren, nachdem er den Pilgergang zu Libors Wohnung bereits absolviert hatte – was diesen Tag von allen anderen unterschied. Er war seiner üblichen Route gefolgt, hatte dem Juckreiz der Erinnerung nachgegeben, den Park durch die Libors Wohnung nächstgelegene Pforte verlassen, einfach dagestanden und eine halbe Stunde hinaufgestarrt, die Fenster zu Libors Zimmern ausgemacht und daran gedacht, was er in diesen Zimmern gesehen oder getan hatte: Malkie, wie sie Schubert spielte, zahllose gesellige Dinnerpartys, Libors wuchtige Möbel, seine mit Initialen versehenen Pantoffeln, Libor und Finkler, die wegen Isrrrae die Klingen kreuzten, Hephzibah, der er hier zum ersten Mal begegnet war – »Nennen Sie mich Juno, wenn es Ihnen leichter fällt«. Er verband nichts als glückliche Erinnerungen mit Libors Wohnung, auch wenn er dort manche Träne vergossen hatte und nur einige Hundert Meter davon entfernt überfallen worden war, was er nun aber auch für eine glückliche Erinnerung hielt, hatte ihn dieser Überfall doch mehr oder weniger direkt zu Hephzibah geführt.
    Normalerweise ging er dann forschen Schrittes am Gebäude der BBC vorbei, diesem Rattenloch, an das er keine einzige frohe Erinnerung hatte, verweilte ein wenig vor dem Schaufenster von J.P. Guivier, sog den Zigarrenrauch ein, der noch im Mauerwerk dieser Straße hing, in der sein Vater ein Geschäft gehabt hatte, machte eine Kaffeepause, schwelgte ein wenig in Melancholie, verdammt, warum auch nicht? – er hatte zu viel Zeit, das war sein Problem, wartete schon zu lang darauf, dass etwas geschah –, und fuhr dann mit einem Taxi nach Hause. Heute aber war das Wetter so freundlich wie seit Wochen nicht mehr, große Wolkenpilze schwankten über den Himmel, und er brauchte doppelt so lang wie gewöhnlich, weshalb er beschloss, ein Sühnemahl in jener Salt-Beef-Bar einzunehmen, in der er Libors Ohren beleidigt
hatte, um dann noch einmal in den Park zu gehen und gemächlich den Weg zurückzuschlendern, den er gekommen war. Am Nachmittag war er müde und schlief zu seiner eigenen Überraschung auf einer Parkbank ein, ganz wie ein alter Penner. Er wachte auf mit steifem Nacken, Kinn auf der Brust. Er hatte diesmal einen Umweg durch einen verwilderten Teil des Parks gewählt und sich Zeit dabei gelassen. Eigentlich gefiel es ihm dort nicht besonders. Es kam ihm nicht wie London vor, jedenfalls nicht wie das richtige London, und es roch irgendwie nach Ärger, auch wenn er höchstens mal eine Schar brasilianischer Jungs sah, die mit polnischen Jungs in Dreißiger-Mannschaften Fußball spielten und ziemlichen Lärm machten.
    Und Lärm hatte ihn wohl auch geweckt. Eine Meute Schulkinder jeder Hautfarbe und jeden Geschlechts rief etwas, das er nicht verstand, kein wahlloses Gekreische, sondern irgendwas, das stetig wiederholt wurde und allein deshalb wie Hohn und Spott klang. Nur konnte er nicht sehen, wen sie verspotteten.
    Mit ihm hatte das nichts zu tun.
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