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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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es ihn nicht, auf Araber einzuschlagen. Er hört Geschrei. Es wäre ihm recht, wenn man ihn an die Mauer presste und sagte: »Du Jud!« Welch heldenhafter Tod, als Jude zu sterben. Wenn man schon für etwas sterben muss, dann dafür, dass man Jude ist. »Du Jud«, und ein Messer an die Kehle. Das nennt man einen wahrhaften Tod, nicht diesen Mist, den Treslove sein Leben lang veranstaltet hat.
    Etwas drückt sich in seine Rippen, aber es ist kein Messer. Eine Faust. Er boxt zurück. Jetzt kämpfen sie, Treslove und er weiß nicht wie viele. Treslove hört ein lautes Poltern, aber vielleicht ist es auch nur sein Herz. Er stolpert, verliert den Halt auf unebenem Grund. Dann fällt er der Länge nach hin. Scheinwerfer blenden ihn. Plötzlich tut seine Schulter weh. Er schließt die Augen.
    Als er sie wieder aufschlägt, beugt sich der Jude mit dem PLO-Tuch über ihn. »Alles in Ordnung?«, fragt er.
    Diese Behutsamkeit überrascht Treslove. Er hätte erwartet, dass der Mann Funken sprüht wie sein Motorrad.
    »Wissen Sie, wo Sie sind?« Er klingt fast wie ein Arzt. Sollte er das sein, dieser Irre, überlegt Treslove – ein eminenter jüdischer Arzt mit Palästinensertuch?

    Er starrt zu ihm auf und fragt sich, ob er in ihm den Glotzer von Hephzibahs Terrasse wiedererkennt. Da dies Hephzibahs Abend ist, sollte die Verbindung nicht schwer herzustellen sein.
    Doch falls der Biker ihn erkennt, lässt er es sich nicht anmerken. »Wissen Sie, wie Sie heißen?«, fragt er immer noch besorgt.
    »Brad Pitt«, erwidert Treslove. »Und Sie sind …?«
    »Sydney.« Die Stimme klingt kultiviert, besänftigend. Geduldig. Der Mann nimmt das Tuch ab und legt es Treslove unter den Kopf. »Sie haben Glück, dass er so gute Bremsen hatte«, sagt er.
    »Wer?«, fragt Treslove, hört aber keine Antwort.
    Statt Sydney dankbar zu sein, der sich aus wer weiß welch krankhaftem Motiv menschlicher Selbstverleugnung ins Tuch der Feinde seines Volkes hüllt, wünscht sich Treslove, die Bremsen wäre nicht so gut gewesen.
    Statt Treslove und der Frau mit dem Hund dankbar zu sein, hatte sich der sephardische Jude aus ähnlichen Gründen gewünscht, dass man ihn seinen Peinigern überlassen hätte?
    Ist schon was Komisches, diese Undankbarkeit, denkt Treslove und schließt erneut die Augen. Es war ein langer Tag.
     
    Die Verletzungen sind nicht schlimm, doch behält man ihn über Nacht im Krankenhaus. Zur Sicherheit. Hephzibah besucht ihn, aber er schläft. »Wecken Sie ihn nicht auf«, sagt sie.
    Sie meint, er wisse, dass sie bei ihm ist, wolle sie aber nicht sehen. Sie gehört jetzt zu all dem, dessen er überdrüssig ist. Wie Libor will er etwas hinter sich lassen. Sie irrt sich, aber das ist unwichtig. Worin sie heute irrt, mag sie morgen recht haben.

EPILOG
    Da Libor keine Kinder hat, werden wir Kaddisch für ihn sprechen, darin sind sich Hephzibah und Finkler einig. Als Goi ist es Treslove nicht erlaubt, das jüdische Totengebet aufzusagen, also wurde er aus ihren Beratungen ausgeschlossen.
     
    »Ich habe für Synagogen nicht viel übrig«, sagt Hephzibah. »Mir ist dieses Theater zuwider, für wen man Kaddisch sagen darf und für wen nicht, wo und wann man sich hinsetzt, ganz zu schweigen von dem, was einer Frau erlaubt ist und wie sich das von Synagoge zu Synagoge unterscheidet. Unsere Religion macht es einem nicht gerade leicht. Also bete ich daheim.«
    Und das tut sie.
    Für die Toten und die Toten für sie.
    Um Libor weint sie sich die Augen aus.
    Um Julian – denn aus ihrem Herzen kann sie Julian nicht verbannen – weint sie bittere Tränen, die aus einem ihr unbekannten Winkel ihres Innersten hervorquellen. Sie hat auch früher schon um Männer geweint, die sie einmal geliebt hat. Bei denen schmerzte sie die Endgültigkeit der Trennung. Mit Julian ist das anders: War er je so fest mit ihr zusammen, dass sie sich jetzt von ihm getrennt fühlen kann? War sie für ihn nur ein Experiment? War er für sie nur ein Experiment?
     
    Samuel Finkler hat es nicht ganz so leicht, dafür erlebt er die Trauer vielleicht unmittelbarer. Er muss zur nächsten Synagoge gehen und das Gebet aufsagen, das er zuerst von den Lippen seines Vaters hörte. Auf Hebräisch, dieser uralten Sprache, stimmt
er die Klage für die Toten an: »Jisgadal wejiskadasch … erhoben und geheiligt werde sein großer Name.« Das sagt er dreimal am Tag. Falls es sich bei dem Verschiedenen nicht um Vater oder Mutter handelt, endet die Pflicht, Kaddisch zu sprechen, nach
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