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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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fertigbringen.«
    »Ich tat’s aus ehrenwerten Motiven, immerhin habe ich gehofft, sie zu Tode zu vögeln.«
    »Warum hast du sie nicht einfach erwürgt, statt sie zu vögeln?«
    »Ich bin Jude.«
    »Bei Holocaust-Leugnerinnen ist das erlaubt, nein, sogar Pflicht. Das elfte Gebot: ›Du sollst allen Leugnern den Hals umdrehen, denn Leugnen ist schändlich.‹«
    »Mag sein, aber ich wollte sie auch bekehren. Wie die Nutten. Du kennst mich …«
    »Immer noch ein weiches Herz …«
    Er hätte sie geküsst, hätte sie es zugelassen.
    »Immer noch ein weiches Herz«, erwiderte er.
    »Und? Hast du?«
    »Hab ich was?«
    »Sie bekehrt?«
    »Nein, aber ich habe sie auf drei Millionen hochgehandelt.«
    »Und was hast du dafür tun müssen?«
    »Frag lieber nicht.«
    Ihren Chefs hatte sie Bens Geschichte nicht erzählt. Man weiß ja nie, was ein Jude lustig findet und was nicht.
    Und was das Museum anging, würde man es eröffnen, so wie sie es wollten. Man durfte sich nicht Bange machen lassen. Nicht im einundzwanzigsten Jahrhundert. Nicht in St. John’s Wood.

DREIZEHN
    1
    Wenn die Scham morgens unerträglich schien und Treslove der armen Hephzibah seinen Anblick nicht länger zumuten wollte, zog er den Mantel an, verließ die Wohnung und ging durch den Park zu Libors Haus. Er nannte es immer noch Libors Haus; daran war nichts merkwürdig. Schließlich rechnete er nicht damit, ihn am Fenster zu sehen. Doch irgendwas war von Libor dort verblieben, ganz wie er fürchtete, dass auch etwas von seiner Scham noch auf Hephzibahs Terrasse haftete, obwohl er selbst bereits gegangen war.
    Um diese Zeit hatten Jogger, Hundeausführer und Gänse den Regent’s Park mit Beschlag belegt. Das Federvieh wechselte sich ab. Am frühen Morgen gehörte der Park den Gänsen, die aufs Trockene watschelten und mit dem Schnabel nach allem pickten, was ihnen zustand. Später waren die Reiher dran, danach die Schwäne, dann die Enten. Es wäre gut, dachte Treslove, wenn die Menschen sich ähnlich verhielten, nie um Land kämpften, einfach Tageszeiten vergaben. Muslime am Morgen, Gojim am Nachmittag, Juden am Abend. Oder irgendeine andere Ordnung. Wer welche Zeit bekam war egal, Hauptsache, alle bekamen ihren Teil.
    Der Park war Londons größter Außenbereich zum Denken, größer sogar als Hampstead, wo sich zu viele Denker im selben Denkraum drängelten. An manchen Vormittagen meinte Treslove, der einzige Mensch im ganzen Park zu sein, der nachdachte
– einfach nur nachdachte, nicht dachte, während er joggte, oder dachte, während er den Hund ausführte, sondern jemand, der nichts anderes tat als denken. An dem einen Parkende ließ er seine Gedanken frei und sammelte sie am anderen wieder ein, wurden sie doch von den ansonsten unbeschäftigten Bäumen weitergeleitet, so wie Telegrafenmasten die menschliche Stimme übertrugen. Die gleichen Gedanken, die er in den Park gebracht hatte, erwarteten ihn, wenn er ihn wieder verließ.
    Es war kein absichtsvolles Denken, bloß simples Denken. Wieder aufleben. Denken bedeutete für ihn, im Kopf zu existieren.
    Und was brachten ihm diese Vormittage freien, ungehinderten Denkens?
    Nichts.
    Zero.
    Gornischt .
    Als er Hephzibah kennenlernte, hatte er davon geträumt, wie sie zusammen zu diesem See gingen, sich für eine halbe Stunde auf eine Bank setzten, den Reihern zusahen, über Juden und die Natur sprachen – wieso gab es so wenig Naturbeschreibungen in der Bibel, wieso wurde selbst das Paradies in Sachen Vegetation etc. so ungenau beschrieben – und darauf warteten, dass sich Libor zu ihnen gesellte. Wenn Hephzibah dann nach allerlei Abschiedsküssen ins Museum ging, würden Libor und Treslove Arm in Arm dahinschlendern wie zwei ältliche K.-u.-K.-Herren und sich Anekdoten auf Jiddisch erzählen, das Treslove längst auf wundersame Weise fließend beherrschte. Später würden sie sich wieder auf eine Bank an den See setzen, und Libor würde erklären, warum Juden so gut darin waren, in Städten zu leben. Treslove hatte sein ganzes Leben in dieser Metropole verbracht, verkörperte sie aber längst nicht im gleichen Maße wie Libor. Was die Gänse für den Regent’s Park waren, war Libor für die angrenzenden Straßen. Dabei war er
nicht mal in London geboren und sprach die Hälfte aller englischen Worte falsch aus. Treslove wollte diese Fähigkeit nicht nur erklärt bekommen, er wollte, dass ihm gesagt wurde, wie er sie sich aneignen konnte.
    Wenn dies ein müßiger Traum war, dann nur, weil die
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