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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
Autoren: Howard Jacobson
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sah gleichsam geräumig aus, wie ein rettender Hafen.
    Nun, da hatte sich Treslove jedenfalls geirrt. Sie konnte ihn nicht retten. Vielleicht war er nicht zu retten.
    Größtenteils ging es dabei um Libor, das wusste sie. Treslove hatte es immer noch nicht begriffen. Aus Gründen, die sie nicht verstand, schien er sich Vorwürfe zu machen. Außerdem fehlte ihm einfach Libors Gesellschaft. Also hatte es keinen Zweck, ihn zu bedrängen und zu fragen: »Hab ich was falsch gemacht, Schatz?« Das Beste war, ihn eine Weile in Frieden zu lassen. Sie konnte selbst ein bisschen Ruhe gebrauchen. Schließlich trauerte sie ebenso wie er. Trotzdem quälten sie die Fragen, und er tat ihr leid.
    Außerdem gab es da noch das Museum …

    Die Eröffnung machte ihr zunehmend Sorgen. Nicht, weil das Gebäude dann noch nicht fertig sein würde – das war nicht weiter wichtig –, sondern weil die ganze Atmosphäre nicht stimmte. Man wollte heutzutage weniger und nicht mehr von Juden hören. Es gibt Zeiten, da öffnet man seine Tore, und Zeiten, da sollte man sie schließen. Wäre es allein nach ihr gegangen, würde sie das Museum zumauern.
    Sie konnte nur hoffen, dass die Welt aus einer plötzlichen Laune heraus einen anderen Ton anschlug, dass irgendwie das hässliche Gerede von allein versiegte, dass eine frische Brise alle tödlichen Miasmen vertrieb, die die Juden und ihre Unterfangen vergifteten.
    Also übte sie sich in Hoffnung.
    Kopf gesenkt, Augen geschlossen, Daumen gedrückt.
    7
    Es lag nicht in ihrer Natur, sich einfach dem Geschehen zu fügen. Sie konnte es nicht auf sich beruhen lassen, wie ihre Vorgesetzten das wünschten, die philanthropischen Sponsoren des Museums. Erneut brachte sie vor, wie ungünstig der Zeitpunkt sei. Verschieben wäre peinlich, aber keineswegs unmöglich. Man könnte Verzögerungen am Bau anführen. Die wirtschaftliche Lage. Irgendjemandes schlechten Gesundheitszustand. Ihren schlechten Gesundheitszustand.
    Das wäre keine Lüge. Um ihre psychische Verfassung war es nicht allzu gut bestellt. Sie las, was ihr nicht guttat – die sich rapide ausbreitenden Verschwörungstheorien über Juden, die für den 11. September verantwortlich waren, für den Zusammenbruch der Banken, über Juden, die die Welt mit Pornografie vergifteten, die illegale Organspenden erzwangen, die ihren eigenen Holocaust vortäuschten.

    Holocaust, der verfluchte Holocaust. Das Wort war für sie wie das Wort Antisemit, und sie verfluchte all jene, die sie darauf reduzierten, es bis zum Überdruss zu benutzen. Aber was dagegen tun? Erpressung lag in der Luft. Halt’s Maul, du mit deinem verfluchten Holocaust, hieß es, oder wir leugnen, dass er je stattgefunden hat. Was bedeutete, dass sie den Mund nicht halten konnte.
    Der Holocaust war verhandelbar geworden. Vor Kurzem hatten sie ihren Exmann getroffen – nicht Abe, den Anwalt, sondern Ben, den Gotteslästerer, Schauspieler, Raconteur und Lügner (schon komisch, dass man, kaum hat man einen unzuverlässigen Exgatten getroffen, dem nächsten über den Weg lief ) – und sich eine teuflische Geschichte erzählen lassen, darüber, wie er mit einer Holocaust-Leugnerin geschlafen und Zahlen gegen Liebeswonnen eingetauscht hatte. Tat sie dies oder jenes für ihn, zog er eine Million ab, zählte sie aber wieder hinzu, wenn er Gleiches für sie tun sollte.
    »Ich kam mir wie Wie-heißt-er-noch vor«, sagte er.
    »Gib mir einen Anhaltspunkt.«
    »Der Mann mit der Liste.«
    »KoKo? Schalck-Golodkowski?«
    »Habe ich dir schon erzählt, dass ich in Japan mal den Mikado gespielt habe?«
    »Schon tausend Mal.«
    »Echt? Wie peinlich. Nein, der nicht. Dieser andere Listenmann. «
    »Schindler?«
    »Ja, Schindler – nur habe ich in meinem Fall die gerettet, die bereits umgebracht worden waren.«
    »Das ist übel, Ben«, hatte sie gesagt, »wirklich, der übelste Witz, nein, die übelsten zwei Witze, die ich je gehört habe.«
    »Wieso Witz? So geht’s da draußen zu. Der Holocaust ist zur verhandelbaren Ware geworden. In Spanien gibt es einen
Bürgermeister, der den Holocaust-Gedenktag seiner eigenen Gemeinde wegen Gaza gestrichen hat, als ob das eine mit dem anderen zusammenhinge.«
    »Ich weiß. Was letztlich darauf hinausläuft, dass man sich der Toten von Buchenwald nur dann erinnert, wenn sich die Lebenden in Tel Aviv anständig benehmen. Aber ich glaube dir nicht.«
    »Was glaubst du nicht?«
    »Dass du mit einer Holocaust-Leugnerin geschlafen hast. Selbst du würdest das nicht
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