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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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vorgeladen wird. Der Mensch hat selten
ein reines Gewissen. Ein Primaner nie. Und auch dann nicht, wenn er, wie Hans
Pfeiffer, erst seit zwei Stunden auf der Schule ist.
    Von Direktor Knauer, allgemein „der
Zeus“ genannt, ist zu vermelden, daß er ein freundlicher Herr war,
undefinierbaren Alters, bartlos, leise in jeder Beziehung und von unbestreitbarer
Vornehmheit. Sein rundes, nur durch eine Brille unterbrochenes Gesicht war
schwer zu behalten. Ein böser Quartaner hatte einmal einen großen Kreis an die
Tafel gezeichnet und darin nebeneinander zwei kleine Kreise; die Karikatur
wurde erkannt, und der Quartaner angemessen bestraft.
    Direktor Knauer hatte alte und neue
Sprachen studiert, war ein anerkannter Spezialist auf dem Gebiete der
Shakespeare-Forschung und bereits seit langer Zeit Leiter des Gymnasiums von
Babenberg. Er war das Gegenteil eines Schultyrannen; seine Größe bestand darin,
alle überflüssigen Konflikte — und nach seiner Ansicht waren Konflikte immer
überflüssig — zu vermeiden und die kleine Anstalt mit Wohlwollen und Sanftmut
im Gleise zu halten. Außerdienstlich führte er ein vorbildliches Familienleben
und besaß eine beachtliche Hühnerzucht. Dienstlich aber hatte er eine kleine
Schrulle. Diese Schrulle bestand in einer kleinen Mappe, die er stets und
ständig unter dem Arm trug. Die ältesten Schüler konnten sich nicht entsinnen, ihn
jemals ohne diese blaue Mappe gesehen zu haben. Wahrscheinlich nahm er sie auch
mit ins Bett. Aber das war leider nicht festzustellen. Diese Mappe schien das Symbol seiner Macht und der Inbegriff seiner
Tätigkeit. Was sie enthielt, wußte kein Mensch. Vielleicht die Impfliste oder
eine Statistik der elterlichen Berufe. Oder ein Verzeichnis der Freischwimmer
oder der vom Singen Dispensierten. Bestimmt war es etwas höchst Belangreiches.
Und wenn böse Zungen behaupteten, die Mappe sei leer, so war das bestimmt
übertrieben.
    Nun stand Hans Pfeiffer vor dem
Gewaltigen.
    „Sie kennen doch die Schulordnung,
Pfeiffer?“
    „Sie ist mir ausgehändigt worden.“
    „Dann dürfen Sie auch wissen, daß meine
Schüler nach 9 Uhr abends daheim zu bleiben haben.“
    „9 Uhr schon?“
    „Sie sind gestern abend gegen 10 Uhr im
Gasthof Axmacher gesehen worden.“
    „Natürlich. Ich wohne doch da, Herr
Direktor.“
    Direktor Knauer konnte fürs erste
nichts erwidern. Er klappte nur den Mund auf und zu. „Das fängt ja gut mit
Ihnen an.“
    „Herr Direktor, ich hatte gedacht —“
    Sobald man sich einem Vorgesetzten
gegenüber erfrecht, etwas zu denken, bekommt man nach einem unabänderlichen
Naturgesetz die Antwort: „Sie haben nicht zu denken.“ Auch Hans Pfeiffer bekam
diese Antwort.
    „Ganz recht, Herr Direktor, ich will es
mir abgewöhnen. Ich dachte nur, weil Axmacher ein hochanständiges Hotel ist —“
    „Er denkt schon wieder.“
    Das war keineswegs das friderizianische
„Er“, sondern eine hilfesuchende Anrede an eine nicht vorhandene Zeugenschaft.
    „Und dann dachte ich auch, weil da
lauter bessere Herren verkehren — die Herren Professoren und der Rauchklub ,Blaue Wolke’ —“
    „Er denkt ja immer noch.“
    „Verzeihung, ich hatte nur gemeint —“
    „Jetzt hat er auch noch eine Meinung.“
    „Ich wollte sagen, ich hatte geglaubt
—“
    Das Glauben kann man keinem Menschen
verbieten, dachte Hans.
    „Nun schweigen Sie mal stille. Ich will
nichts gegen den Gasthof Axmacher gesagt haben. Er wurde Anno 1750 von
Friedrich dem Großen der eben gegründeten Stadt als Amtswirtshaus geschenkt und
46 Jahre später zum Rathaus umgewandelt. 1820 wurde er dann wieder Gasthof.
Dies nebenbei. Im übrigen müssen Sie das richtig verstehen, Pfeiffer. Zunächst
ist es viel zu kostspielig für Sie.“ Hans Pfeiffer hat die Augen
niedergeschlagen; aber er fühlt den prüfenden Blick über seinen Anzug. „Vor
allen Dingen aber ist es ungehörig. Schüler einer höheren Lehranstalt können
doch nicht in einem Wirtshaus wohnen. Was macht das für einen Eindruck? Und was
sollen die Leute denken?“
    „Daran habe ich allerdings nicht
gedacht.“
    „Sie sollen aber denken! Dafür sind Sie
ein gebildeter Mensch.“
    „Schön, dann will ich es mir wieder
angewöhnen. Und dann gehe ich heute nachmittag auf Budensuche.“
    „Budensuche? Was ist das nun wieder für
ein Ausdruck? Eine Bude ist etwas Ungehöriges, ich möchte fast sagen
Unmoralisches. Ein Schüler einer höheren Lehranstalt hat keine Bude, sondern,
sofern er nicht zu Hause wohnt, eine
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