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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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streckt! Knie — beugt! Knie — streckt!
    Er hat das Fenster geöffnet und macht
mit dem Rücken zur Klasse die Übungen vor. Er machte das täglich mit seinen
Schülern. Wenigstens bildete er sich das ein. Die Klasse dachte nämlich gar
nicht daran, mitzumachen. Lässig lehnten die Jungen in den Bänken und
betrachteten grinsend ihren Lehrer, wie er turnte, daß die Gelenke krachten.
    „Arme — streckt! Arme — beugt! Hüften —
rollt!“
    Auch Hans Pfeiffer, der anfangs
mitgetan hatte, läßt es bald sein und wundert sich, warum die anderen so ernst
bleiben. Offenbar sind sie diese ungewollten Solodarbietungen ihres Erziehers
gewohnt.
    Nur der kleine Luck turnt mit. Es ist
rührend, wie er die schmächtigen Arme schleudert, sich vor- und rückwärts
beugt. Er erregt aber dadurch mitnichten das Wohlwollen seiner Kameraden.
Jedesmal, wenn er sich nach vorne beugt, zwickt ihn der Theo Schrenk in den
hierfür besonders geeigneten Körperteil. Der kleine Luck scheint es für selbstverständlich
zu halten.
    Dr. Brett ist fertig. Er wendet sich
triumphierend zur Klasse. Er strahlt. Und konstatiert: „So, jetzt sehen Sie
schon ganz anders aus. Wie neugeboren. Mens sana in corpore sano! — Warum
lachen Sie?“
    Hans Pfeiffer sucht krampfhaft nach
einer Ausrede: „Ach — ich muß eben an einen Witz denken, den Herr Professor
Schnauz erzählt hat.“ Die Klasse freut sich unbändig. Dr. Brett verzieht keine
Miene. Hans blickt mit scheinheiligem Erstaunen um sich:
    „Ich bin erst seit heute hier. Ich kann
doch nicht wissen, wie Herr Professor Crey richtig heißt.“
    Brett überhört alles das. „Was war das
für ein Witz? Erzählen Sie. Ganz schnell bitte. Ich werde beweisen, daß es kein
Witz war, sondern eine Ausrede.“
    Bums, sitzt Hans Pfeiffer fest. Er soll
ganz schnell einen Witz erzählen. Natürlich fällt ihm keiner ein. Folglich muß
er einen erfinden. Dafür ist man ja Schriftsteller.
    „Ich weiß aber nicht, ob er geeignet
ist, und ob er gut ist.“
    „Wenn Kollege Crey ihn erzählt, ist er
gut und geeignet. Also bitte!“
    „Tja, also — es war einmal ein Mann.
Und dieser Mann hatte drei Söhne.“
    „Weiter!“
    „Der erste Sohn war entsetzlich dumm.
Der zweite war so mittel. Und der dritte war phantastisch begabt.“
    „Weiter!“
    „Ja, und die mußten doch nun alle drei
etwas werden. Der erste, der Dumme, wurde Schafhirt. Der zweite, der
mittelmäßig Begabte, wurde — Trichinenbeschauer.“
    „Und der dritte?“
    „Der dritte? Der ist Oberlehrer
geworden.“
    „So? — Und wo steckt da der Witz?“
    „Das habe ich auch erst später gemerkt,
daß das ein Witz ist.“
    Einen Augenblick Totenstille. Dann
dröhnt die Klasse los. Dr. Brett lacht laut mit. Dann zwingt er sich zum Ernst.
Und schaut dem neuen Schüler scharf in die Augen:
    „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.
Nach ein paar Jahren begab sich der Oberlehrer zu seinem Bruder, dem
Schafhirten, und sagte: Du, wir wollen tauschen. Ich möchte lieber Schafe
hüten.“
    Diesmal lacht die Klasse nicht, und
Hans hielt es für geraten, sich bescheiden auf seinen Sitz zu klemmen.
    „Bleiben Sie stehen, Pfeiffer. Zeigen
Sie Ihren Kameraden, daß Sie nicht nur Witze erfinden können, sondern auch
etwas von sphärischer Trigonometrie verstehen.“
    Hans muß an die große schwarze Tafel
und der Klasse etwas vorrechnen. Er reißt sich gewaltig zusammen. Er fühlt, wie
seine vierzehn Kameraden fieberhaft aufpassen und sich schon im voraus auf den
Reinfall freuen. Vielleicht ist es nur gewöhnliche Schadenfreude. Vielleicht
sind sie auch schon ein bißchen neidisch auf ihn. Er wird unsicher. Es geht ums
Ganze; dessen ist er sich bewußt. Der Neue kann
nichts. Nein, der Neue kann nichts? Oho, der Neue kann wohl was.
    Studienrat Brett fühlt mit ihm.
Unmerklich hilft er. Er wittert jedes leichte Schwanken, jede Unklarheit. Er
springt dazwischen mit harmlosen, doch sorgfältig überlegten Fragen, und so
steuert er gewissermaßen aus dem Hintergrund die Lösung der Aufgabe immer
wieder in die richtige Bahn.
    Hans ist fertig. Voller Stolz hält er
Umschau. Dreizehn Schüler heucheln Gleichgültigkeit und blicken in die Luft
oder in die Bücher. Der kleine Luck beißt sich aufgeregt die Unterlippe und
freut sich mit Hans.
    Auch Dr. Brett lächelt den Neuen an.
     
    *
     
    Große Pause. Das Läuten der Glocke wird
vom Primaner Ackermann besorgt, der auch noch einen zweiten Vertrauensposten
innehat: Er darf die Milch austeilen; die meisten
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