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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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war er ein ausgesprochener Nachtarbeiter.
    Nun suchte er einen Vorwand, um Frau
Windscheid zu entschlüpfen. Zunächst probierte er es mit Asthma; er müsse an
die frische Luft. Frau Windscheid war anderer Ansicht und kochte ihm aus
vielerlei Blättern einen Tee. Es war sicher ein sehr gesunder Tee; denn er
schmeckte schauderhaft. Er half auch auf der Stelle; schon nach ein paar
Schlücken gab Flans das Asthma auf und kroch schleunigst ins Bett — um sich etwa
nach einer Stunde mit Hilfe des geborgten Hausschlüssels von dannen zu
schleichen.
    Wohin?
    Selbstverständlich hatte er
Pennälermütze, Brille und Anzug gegen seine gewohnten Sachen vertauscht. Aber
er fürchtete, trotzdem erkannt zu werden. So wichtig kam er sich vor. Und er
wollte einen vorschnellen Schluß seiner neuen Laufbahn durchaus vermeiden.
    Das Wandertheater, eine gutgemeinte
Edelschmiere, hatte vor ein paar Tagen „Flachsmann als Erzieher“ gespielt. Die
Plakatreste hingen noch. Es würde erst in ein paar Wochen mit „Alt-Heidelberg“
wiederkommen. Der Zirkus Gerani war in Aussicht, aber noch nicht da.
    In den anständigen Kneipen würde er
Magister treffen. Aber Herr Knoll hatte ihm ein kleines Café genannt, das von
Magistern und anderen Honoratioren gemieden wurde. Dort bediente ein weibliches
Wesen in einer seidenen Bluse, eine sogenannte Kellnerin. Hans Pfeiffer setzte
sich trübselig an einen der runden, etwas angeschmuddelten Marmortische, trank
klebriges Bier und spielte stumpfsinnig mit durchweichten Bierfilzen. An den
Wänden herum saßen Liebespärchen, die sich langweilten. Von Zeit zu Zeit
opferte jemand einen Groschen und ließ das elektrische Klavier laufen.
    Auf diese Weise versah er sich einige
Abende mit der erforderlichen Bettschwere.
    Lange währte die Herrlichkeit nicht.
Eines Abends, als er wiederum auf Strümpfen die große Treppe hinaufschlich,
fiel ihm vor lauter Behutsamkeit auf der obersten Treppenstufe sein schwerer
eichener Spazierstock aus der Hand und donnerte mit einem höllischen Gepolter
die Treppe hinunter. Die weiten Räume des alten Hauses gaben ein vielseitiges
Echo. Man konnte es der wackeren Frau Windscheid nicht übelnehmen, daß sie
darob erwachte. Hans Pfeiffer bekam eine regelrechte Gardinenpredigt. Das nahm
dem jungen Schriftsteller die Lust an weiteren nächtlichen Ausschweifungen.
    Ein fast noch größeres Problem als das
Zubettgehen war das Aufstehen. Jeden Morgen, wenn um Viertel vor sieben der
grelle Weckerton seinen Schlaf zerriß, wunderte er sich und brauchte geraume
Zeit, um wieder zu wissen, wo und wer er war. Und wenn er dann unter dem
ungeduldigen Klopfen der Frau Windscheid aufstehen mußte, mitten in der Nacht,
wie er es nannte, bekam er jedesmal eine höllische Wut auf die Feuerzangenbowle
und überlegte, ob er nicht den ganzen Krempel wieder hinhauen sollte. Aber
während er sich wusch und anzog, legte sich das jedesmal, und allmählich merkte
er, daß auch der frühe Morgen eine ganz brauchbare und lebenswerte Tageszeit
sei. Er setzte sich an den Tisch, ließ sich von Frau Windscheid mit
Spiegeleiern und Bratkartoffeln vollstopfen, während er seine griechischen
Vokabeln repetierte; schließlich nahm er seine Bücher unter den Arm und von
Frau Windscheid eine wahre Säule von gut belegten Butterbroten in Empfang,
schlug sich seine Pennälermütze, die ihm schon viel besser paßte, auf den Kopf
und trollte davon.
     
    *
     
    Inzwischen hatte Hans Pfeiffer auch die
übrigen Magister des kleinen Gymnasiums kennen- und mehr oder weniger
liebengelernt. Es stellte sich heraus, daß es keineswegs lauter Originale
waren, wie Hans das aus den Feuerzangenbowlenerzählungen erwartet hatte. Selbst
das zu diesem Zweck besonders ausgesuchte Gymnasium in Babenberg war nicht das
erwartete Museum für pädagogische Raritäten. Und erst recht kein Zoologischer
Garten. Hans war sich darüber klar: Es ist im Leben alles nur halb so schlimm —
und halb so schön.
    Einer der Lehrer, er hieß Müller 2 und
gab Geschichte und Englisch, war sogar das genaue Gegenteil eines Originals.
Man konnte ihm aber auch nicht die allergeringste Verschrobenheit nachweisen.
Nach keiner Richtung hin. Seine hervorstechende Besonderheit war es, keine
Besonderheit zu haben. Er war angezogen wie alle Menschen. Nicht zu lässig und
nicht zu sorgfältig. Er sprach ganz genau wie gewöhnliche Sterbliche; er machte
keine Witze — weder freiwillige noch unfreiwillige — und duldete keine. Er war
farblos wie ein Glas Wasser.
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