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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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Windscheid wohnte in der
Schrottgasse. Es war ein altertümliches Haus mit viel Efeu und einem schmalen
Vorgarten. Im Erdgeschoß wohnte Sanitätsrat Steinhauer. Auf einem runden,
halbkugelig vertieften Messingschild spiegelte sich ein Klingelknopf, den man
waagerecht herausziehen mußte. Wenn man gezogen hatte, kam er einem mindestens
einen halben Meter entgegen, und innen jammerte eine Schelle, die sich gar
nicht beruhigen wollte.
    Das kann ja lieblich werden, dachte
Hans.
    Aber es war nicht so schlimm.
Sanitätsrat Steinhauer hatte seine Patienten streng erzogen. Sie wurden nachts
nicht krank. Und wenn es ernst war, gingen sie zum jungen Dr. Vogel.
    Hans durchschritt einen lächerlich
breiten Flur mit alten Truhen, ausrangierten Schränken und einer großen Kiste
mit leeren Weinflaschen. Hier im unteren Teil des Hauses roch es nach Doktor,
oben bei der Witwe Windscheid nach Seife und Malzkaffee. Die breiten
Treppenstufen krachten rebellisch unter den fremden Tritten.
    Frau Windscheid zeigte Hans das Zimmer
und redete unaufhörlich. Aber ihr Reden war sanft und angenehm; man konnte es
stundenlang anhören, ohne zuzuhören. Hans besah sich die weißgescheuerten, sandbestreuten
Dielen, das große, kastenförmige Bett, die wurmstichige, mit Intarsien
verzierte Kommode und das an Wollkordeln aufgehängte Bücherbrett. Die drei eng
aneinanderhegenden Fenster hatten Mullgardinen. Als er eins öffnete, schlug ihm
frisches Grün entgegen; er sah in einen herrlich verwilderten Garten.
    Am besten gefiel ihm freilich Frau
Windscheid. Es war eine mollige, lebhafte Frau, Ende Vierzig, mit einem runden,
rosigen Gesicht. Sie hatte glattes Haar, blond mit weißen Streifen. Man muß
schon sagen, daß Hans Pfeiffer bei ihr gut aufgehoben war. Die wackere Frau
erdrückte ihn fast mit ihrer mütterlichen Fürsorge. Zu melden hatte er nichts.
Sie räumte seine Siebensachen aus dem Koffer und ordnete sie ein. Sie
bestimmte, daß er morgens keinen Kaffee trank, sondern Kakao. Dazu mußte er
zwei Spiegeleier mit Bratkartoffeln vertilgen. „Kinder in den
Entwicklungsjahren haben das nötig. Besonders wenn sie so tüchtig wachsen wie
Sie. Meiner wollte nicht. Und dann hat er es bereut.“ Und wehe, wenn er von den
mächtigen Butterbroten eines wieder mit heimbrachte!
    Seine Lieblingsgerichte kochte sie ihm
so oft, daß sie rasch aufhörten, Lieblingsgerichte zu sein. Nach Tisch mußte er
schlafen, und dann durfte er nicht eher etwas tun, als bis er ausgiebig Kaffee
getrunken hatte. Und abends erhielt er wiederum ein Leibgericht oder
Grießpudding mit Himbeersoße.
    „Das essen alle Kinder gern. Meiner
bekam es jeden Tag.“
    Wenn das so weitergeht, dachte Hans,
werde ich hier fett wie ein Eunuch.
    Aber er spreizte sich nicht, sondern
ließ alles über sich ergehen. Er war eine Marionette. Er war eine Folge der
Feuerzangenbowle.
    Hans hatte nur einen bescheidenen
Bruchteil seiner Bibliothek mitgenommen. Aber Frau Windscheid hörte nicht auf,
sich zu wundern. „Was die Kinder heute alles lernen müssen! Meiner hat auch die
halbe Nacht durch gesessen. Es ist schrecklich mit den modernen Schulen.“
Natürlich war sie neugierig. Allerdings auf sympathische und mütterliche Weise.
    „Wer ist denn die Dame? Sicher Ihre
Frau Mama? Und noch so jung! Und die Ähnlichkeit. Eine aparte Frau. Bloß ein
bißchen ernst. Sicher macht sie sich viel Sorge um Sie.“
    „O ja“, brummte Hans.
    Es war Marions Bild.
    Wenn Hans Pfeiffer glaubte, bei Frau
Windscheid wenig unter Aufsicht zu stehen, war er im Irrtum. Frau Windscheid
wachte mit mütterlichem Auge über seinen Lebenswandel und warnte ihn vor
schlechter Gesellschaft.
    „Mit dem Herrn Knoll von nebenan, der
das große Zimmer hat, mit dem müssen Sie sich gar nicht abgeben. Das ist kein
Umgang für Sie. Keinen Abend kommt er vor halb elf nach Hause. Und denken Sie
nur: der hat sogar ein Verhältnis.“
    Aber Hans durfte es nicht mit ihm
verderben. Denn Herr Knoll hatte eine schätzenswerte Eigenschaft. Obwohl sie
keine Eigenschaft war, sondern ein Gegenstand. Er besaß den Hausschlüssel! Und
Hans war keineswegs darauf erpicht, sich wie ein zwölfjähriges Baby abends um 9
Uhr ins Bettchen zu legen, wie es die Schulordnung und Frau Windscheid
vorschrieben. Das war die Zeit, wo er in Berlin allmählich seinen Smoking
zurechtlegte, um sich von der tanzwütigen Marion durch die Dielen und Bars
schleifen zu lassen. Oder er begann um diese Zeit ernsthaft zu arbeiten; denn
wie viele sensible Naturen
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