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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Autoren: Anne Tracy Schoch
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Laprak
     
     
    Wenn es einen scheußlicheren Ort in Laprak gab, dachte Norvan, so hatte er ihn noch nicht entdeckt. Eigentlich war es nur eine kleine Insel vor der Küste des Kontinents, doch sie wurde von einem hohen, vor Mauern, Gittern und Wachen strotzenden Gebäude beherrscht. Andra’graco nannten sie es, die Insel der Qualen, das Gefängnis von Laprak. Keiner, der diesen Ort als Gefangener betrat, hatte ihn bisher wieder verlassen. Sei es durch Folter, Unterernährung, irgendeine Seuche oder Schuldspruch, auf die eine oder andere Weise kam jeder zu Tode. Das Rechtssystem von Laprak war einfach, grausam und äußerst wirkungsvoll. Jeder Gedanke gegen das Regime galt als Verrat, jeder Angriff auf einen Vertreter der Regierung, in Wort oder Tat, war ein todeswürdiges Vergehen. Und Baruk, der Machthaber in dieser Terrorherrschaft, hatte die Möglichkeit, seinen Willen durchzusetzen.
    Diese Überlegung führte Norvan schlagartig seine eigene Situation vor Augen. Auch er war kein Freund des Systems. Doch als Baruks Neffe war er, wenn auch nicht uneingeschränkt, sicher vor Verfolgung und Bespitzelung. Bisher ahnte Norvan nichts, dennoch erschien es ihm seltsam, dass sein Onkel ausgerechnet ihn als einen seiner Begleiter für diese Inspektion des Gefängnisses ausgewählt hatte.
    Als sie den Innenhof des Kerkers betraten, spähte Norvan vorsichtig aus dem Schatten seiner schwarzen Kapuze hervor. Wie es das Protokoll erforderte, ging er drei Meter hinter Baruk. Neben ihm schritt mit hocherhobenem Kopf sein Vetter Brochius. Er war Baruks Erbe und der eifrigste Anhänger der Pseudoreligion Lapraks, die jedes andere Volk von Metargia verdammte. Zwischen den Cousins lief eine große Gestalt in einem dunklen blutig-roten Mantel, verziert mit geheimnisvollen Symbolen. Ein Druide.
    Die Druiden waren die schlimmsten unter Baruks Gefolgsleuten. Sie waren die Priester des Volkes, von vielen verehrt, von allen gefürchtet. Und durch ihre Fähigkeit, Gedanken lesen zu können, waren sie die Stütze von Baruks Herrschaft.
    Ihnen voran ging ein Soldat, der jetzt von einem der Wächter eine Fackel überreicht bekam.
    Schweigend betraten sie das Gebäude und ebenso wortlos begannen sie ihren Weg durch die endlosen feuchten Gänge des Verlieses. Nur manchmal drang das Schreien und Stöhnen der Gefangenen aus einem der Seitengänge.
    Endlich, nach sehr langer Zeit, erreichten sie eine größere Halle. Hier, erkannte Norvan erschreckt, wurden gewöhnlich die Todesurteile vollstreckt. Aber heute gab es keine Verurteilung, das hätte man ihm mit Sicherheit mitgeteilt. Beunruhigt sah er zu seinem Vetter, doch auch Brochius schien verunsichert. Und diese Unsicherheit wurde zumindest bei Norvan zu Furcht, als Baruk noch immer, ohne zu sprechen, deneinenSoldaten zu sich winkte. Zögernd trat der Mann näher. In diesem Augenblick bemerkte Norvan, wie sein Onkel aus einer Tasche seines Mantels einen Dolch zog. Er wollte dem ahnungslosen Soldaten eine Warnung zurufen, doch als er den Blick des Druiden auf sich ruhen fühlte, schwieg er. Entsetzt und doch unfähig zu handeln beobachtete Norvan, wie Baruk dem noch immer zögernden Soldaten entgegentrat und ihm den Dolch in den Bauch rammte.
    Einen Moment lang stand der Mann wie erstarrt da. Dann sank er langsam, beinahe in Zeitlupentempo auf die Knie. Baruk warf dem Sterbenden einen letzten erbarmungslosen Blick zu, dann drehte er sich zu seinen drei Begleitern um:
    „Dies sei euch eine Lehre. Für Verräter gibt es keine Gnade.“
    Bestürzt blickte Norvan zu dem Soldaten, den sein Onkel zu einem langsamen, schmerzvollen Tod verurteilt hatte, und er begriff, dass es auch für ihn kein Erbarmen mehr geben würde.
     

400 – Julius erzählt:
     
     
    Das Jahr 400 begann sehr vielversprechend für mich. Ich war im Winter einundzwanzig Jahre alt geworden und dieses Alter war zumindest für den Sohn eines Königs äußerst bedeutsam. Entsprechend der alten Tradition von Anoria war ich nun Stellvertreter des Königs und, wenigstens offiziell, Heerführer des Reiches. Diese Stellung war rein zeremoniell, da es seit mehr als hundert Jahren keinen Krieg mehr gegeben hatte, und bedeutete lediglich, dass ich zweimal im Jahr an der Spitze einer Parade reiten würde. Doch es waren nicht nur Macht, Einfluss und eine Reihe eindrucksvoller Titel, die meine Zukunft in einem rosigen Licht erscheinen ließen.
    Im vergangenen Sommer hatte ich einige Zeit in Komar, der Hauptstadt des Fürstentums Ariana,
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