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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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einmal einer vornehmen Dame gehört – es steckte noch ein Büschel verknitterter Seidenblumen darauf. Jetzt hielt der Mann inne, schob den weiblich anmutenden Hut zurück, und als er sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte, konnte ich kurz sein dunkles runzliges Gesicht sehen. Langsam rieb er sich mit der anderen Hand über den Rücken.
    Der alte Gärtner musste meinen Blick gespürt haben, denn plötzlich schaute er auf. Er beschirmte die Augen gegen das Sonnenlicht und sah durch das Fenster des Klassenzimmers zu mir herauf. Unauffällig hob ich die Hand und winkte ihm zu, gerade als Miss Radcliffe – ohne Desmond – zurückkam und laut knallend die Tür hinter sich zuwarf.
    Der alte Mann hob seine runzelige Hand und winkte zurück. Er tippte lächelnd an seinen Strohhut, dann griff er mit beiden Händen nach der Schubkarre und ging langsam über die weite Rasenfläche davon.
    Am liebsten wäre ich von meinem Platz aufgesprungen und ihm nachgerannt. Ich sehnte mich danach, dem Gezeter der Lehrerin zu entfliehen, dem spöttischen Kichern der Schulkameraden und den Aufdringlichkeiten des Jungen, der mich nicht in Ruhe lassen wollte.
    Vielleicht würde ich den alten Mann fragen, wie viele Jahre er schon als Gärtner für unsere Schule arbeitete und was seine Lieblingsblumen waren. Danach hatte ihn bestimmt noch nie jemand gefragt, geschweige denn, sich überhaupt dafür interessiert . Er war nur ein unsichtbarer Schwarzer, der in der Welt der wohlhabenden Weißen arbeitete. Wie absurd! Schwarz war eine so starke, auffällige Farbe, weiß dagegen fast durchscheinend. Oder vielleicht war Schwarz in den Augen anderer ein dunkler Abgrund? Ein bodenloses Loch, in dem Leere gähnte?
    Aber natürlich hatte ich nicht den Mumm, einfach aus dem Klassenzimmer zu spazieren und ihm nachzurennen. Die Vertrauensschülerin Ruby Winters musste ein gutes Beispiel abgeben. Und jetzt wartete Ecuador.

4
    DIE Kunstgalerie meiner Mutter, schlicht »Annabel« genannt, war nach der Schule mein Zufluchtsort, wenn ein Tag besonders schwer gewesen war. Hier wurde die Welt von Formen und Farben beherrscht, deren Sprache mir viel mehr sagte als das Gekeife von Miss Radcliffe. Hier war das Leid auf Leinwand gebannt, sah man Emotionen hingetupft und Hoffnung und Freude in feinen Bleistiftstrichen ausgedrückt, hier hatte alles einen Sinn, wie abstrakt es auch sein mochte. Schon seit meiner Kinderzeit war die gedämpfte Atmosphäre der Galerieräume wie ein ruhiger Hafen für mich.
    Dorthin fuhr ich auch an diesem Tag nach der Schule.
    »Mutter!«, rief ich, und meine Stimme klang laut durch die schmucklose ovale Empfangshalle. »Wo bist du?«
    »Schätzchen! Was hat denn dieser Mammi-Notruf zu bedeuten?« Dashel, Mutters Angestellter, trat hinter einem mächtigen Ölgemälde hervor, das er gerade im größten der sieben rund um die Empfangshalle angeordneten Galerieräume aufhängen wollte. Alle nannten ihn den »Flotten Dashel«, und diese Bezeichnung passte zu ihm: Er hatte leicht angegrautes, immer gut frisiertes Haar, ein sorgfältig gepflegtes Spitzbärtchen und trug stets den klassischen schwarzen Rollkragenpulli und gebügelte schwarze Gabardinehosen – seine »Galerieuniform«, wie Mutter es nannte.
    »Himmel noch mal, wir sehen ja heute ganz aufgelöst aus, kleine Miss!« Dashel strich mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Die blöde Schule, Dash!«, platzte ich heraus.
    »Na, na, Schätzchen, dann erzähl mal deinem Onkel D., was passiert ist. Annabel ärgert sich gerade mit dem Kunstkritiker von Die Vaderland herum.« Er blähte die Nasenflügel, als wäre eben ein übler Geruch an ihm vorbeigezogen. »Du weißt schon, das Afrikaans-Blatt.«
    »Was wollen die?« Ich folgte ihm in sein konsequent schwarz-weiß eingerichtetes Büro.
    »Das weiß Gott allein. Wahrscheinlich eine Sensationsstory über unseren letzten Zusammenstoß mit der Polizei, als Kumalo vor der Galerie verhaftet wurde.« Mit federnden Schritten steuerte er seinen tadellos aufgeräumten Schreibtisch an, warf sich theatralisch in den Drehsessel und legte den Kopf in den Nacken wie ein sterbender Schwan. »Ich hab diese verdammte Polizei satt! So satt!« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Warum lassen die unsere ärmsten Künstler nicht einfach in Ruhe?«
    »Vater sagt, wenn für den Wandel gekämpft wird, ist Kunst eine mächtigere Waffe als ein Gewehr. Deshalb.«
    »Nun …« Dashel hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Dann
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