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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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    ICH erinnere mich, wie meine Mutter uns gegenüber zum ersten Mal von Julian Mambasa sprach. »Seine Arbeiten sind etwas ganz Besonderes. Sie sind mir durch und durch gegangen, mir wäre beinahe die Luft weggeblieben«, sagte sie zu Vater und mir nach ihrer ersten Begegnung mit Julian. Sie hatte ihn auf einer Underground-Kunstausstellung in Braamfontein kennengelernt, jenem Teil der Stadt, der für anständige siebzehnjährige junge Damen wie mich ein absolutes Tabu war.
    Annabel, meine Mutter, besaß eine der bekanntesten Kunstgalerien von Johannesburg. Und sie war gleichzeitig eine der umstrittensten. Denn Mutter stellte nicht nur Werke von angesehenen Künstlern aus, an den hellen Wänden der Galerie hingen neben Bildern der Erfolgreichen auch Werke unbekannter und teils unliebsamer Maler. Talent, sagte Mutter immer, kennt keine Grenzen.
    Schon oft hatte sie in der Vergangenheit notleidende Künstler mit Geld und Lebensmitteln unterstützt. Als sie aber erfuhr, dass Julian seine Bilder in einer armselig beleuchteten Hütte in Soweto malte, war sie so entsetzt, dass sie Vater nicht lange bitten musste, ihn samt seiner dürftigen Ausstattung – zerfledderte Pinsel und eine wacklige Staffelei – in unser Gästehaus ziehen zu lassen. Geräumig und kühl hatte es früher ausschließlich als Spielzimmer für mich, das einzige Kind, gedient.
    Als Julian zu uns kam, war er überwältigt von dem, was er sah.
    »Madam Annabel, Sie hätten doch nicht … wirklich, Sie sind so freundlich …« Er hielt den Kopf gesenkt und legte seine großen Hände auf sein Herz.
    Mutter hatte ihm die besten Pinsel gekauft und dazu eine robuste neue Staffelei und wunderbar glatte Leinwand.
    »Dein Talent verdient das«, mehr sagte sie dazu nicht.
    Ihr Vorname passte gut zu meiner Mutter. Er bedeutete Schönheit und Anmut und meine Mutter war blond und schlank. Ihre grazile Figur erlaubte es ihr, leichte enge Kleider zu tragen, die ihr perfekt über die schmalen Hüften fielen. Ich hatte nichts von ihrer blassen Zartheit geerbt. Schon jetzt war ich größer als sie, und meine Augen und meine Haare waren dunkel. Mit meiner sportlichen Figur war ich gut geeignet für das Leichtathletik-Team der Schule.
    Nun stand ich schweigend neben Mutter, ich fühlte mich merkwürdig gehemmt vor Julian. Mutter hatte mir nicht gesagt, dass er erst Anfang zwanzig war, also nur wenige Jahre älter als ich.
    »Ruby«, wiederholte er, nachdem Mutter uns einander vorgestellt hatte, und dann sagte er: »Sie haben mir nicht erzählt, Madam Annabel, dass Sie Ihr wertvollstes Meisterstück zu Hause verstecken.«
    Ich hatte erwartet, dass er über seinen Scherz lachen würde, doch er ließ nur seine warmen dunklen Augen auf mir ruhen.
    Das war an einem Tag im Mai 1976, zur Hochzeit der Apartheid in Südafrika, einer Politik, die die Gesetze der Rassentrennung unerbittlich durchsetzte. Eine düstere, menschenfeindliche und hasserfüllte Zeit, in der es Schwarzen und Weißen verboten war, sich gemeinsam auf dieselbe öffentliche Bank zu setzen, geschweige denn miteinander zu essen. An diesem kalten Maitag begann meine Freundschaft mit Julian Mambasa. Eine Freundschaft, die es außerhalb der Mauern unseres Hauses, das auf einem Hügel im wohlhabenden weißen Vorort Westcliff lag, nicht geben durfte.
    Doch wie Talent so kennt auch Freundschaft keine Grenzen.
    Julian kam jeden Morgen mit einem Bus, auf dem in großen schwarzen Buchstaben prangte: Non-Whites/Nie Blankes. Am Fuß des Hügels an der Jan Smuts Avenue stieg er aus. Er schlängelte sich durch den dichten Morgenverkehr und hielt kurz an, um von dem jungen Piccanin mit der laufenden Nase und den zerrissenen Klamotten, die ihm zwei Nummern zu groß waren, die Morgenausgabe der Rand Daily Mail zu kaufen.
    »Ich bin ein Glückspilz, weil ich einer so gütigen Frau wie deiner Mutter begegnet bin«, sagte Julian zu mir, während er seine neue Staffelei aufbaute, um in der Stille seines hellen sauberen Ateliers mit der Arbeit zu beginnen.
    Kopfschüttelnd sah er sich in dem hellen Raum um. »Nicht zu vergleichen mit meinem Zuhause.«
     
    Jeden Tag nach der Schule zog es mich unwillkürlich zum Atelier. Während Julian malte, erfuhr ich etwas über sein Leben in Soweto: Wie ihn jeden Morgen das heisere Gegacker der Hühner seines Nachbarn Phillamon weckte. Wie er dann in den Hühnerhof schlich und unter ihrem warmen Gefieder nach ein paar Eiern für sein Frühstück suchte.
    »Es ist eine gute Sache, wenn man in
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