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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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den Sandkasten gefolgt, in dem wir dann das ganze Jahr über immer wieder miteinander gespielt hatten. Später, als wir auf verschiedenen Schulen anfingen, sahen wir einander nicht mehr, fanden uns aber am ersten Tag auf der Highschool wieder. Wir machten einfach dort weiter, wo wir aufgehört hatten, nur ohne Eimerchen und Sandschaufeln.
    Miss Radcliffe rückte ihre Brille auf der Nase zurecht und stelzte mit ihren typischen kranichartigen Bewegungen auf mich zu. Sie hatte eine große, dürre Kleiderbügelfigur, ging vornübergebeugt, den Kopf tiefer als die Schultern, die lange Nase zu Boden gerichtet.
    »Ruby Winters!« Sie klopfte mit ihrem langen Finger auf meine Tischplatte. »Desmond Granger! Ihr seid beide Vertrauensschüler, also benehmt euch gefälligst auch so!« Damit machte sie auf ihren spindeldürren Beinen kehrt und ging zur Tafel zurück. »Nun also, Herrschaften … irgendjemand … die Hauptexportartikel von Ecuador!«
    Ich rutschte mit meinem Ministuhl so weit wie möglich vor, um aus der Reichweite von Desmonds beharrlichen Fingern zu kommen. Seit meinem elften Lebensjahr versuchte er mich zu einer Verabredung nach der Schule zu drängen, zu einer nachmittäglichen Bootsfahrt auf dem Zoo Lake oder auf ein Eis in Butterworth’s Sweet Shoppe. Wenn Desmond auch ungewöhnlich gut aussah und einer der beliebtesten Jungen der Schule war, ich mochte ihn nicht, weil mir sein Auftreten als reicher Junge und seine selbstgefällige Art unsympathisch waren. Da er jedoch gewöhnt war, immer zu bekommen, was er wollte, ließ er nicht locker.
    Die Sache war zum Wettspaß unserer Abiturklasse geworden: »Schafft es Des, Ruby zu einem Date zu überreden, bevor das letzte Schuljahr um ist?«
    Ein Zettel flog über meinen Kopf und landete auf meinem Tisch. Hastig griff ich danach und verbarg ihn auf meinen Knien, um ihn Miss Radcliffes Blicken zu entziehen.
    »Kakao und Kaffee. Sehr gut, Stacey. Du hast offensichtlich deine Hausaufgaben gemacht.« Mit einem scheußlichen Quietschen fuhr die Kreide über die Tafel, als sie die beiden Punkte neben EXPORT schrieb.
    Als ich den Zettel auf meinen Knien las, sträubten sich mir die Härchen im Nacken wie die Borsten eines Stachelschweins.
     
    Komme heute Abend mal zu euch rüber. Keine Widerrede.
    Küsse
    Des
    PS. Hey, mir fällt eben ein, besucht euch überhaupt je irgendwer?
     
    Ich knüllte den Zettel langsam zwischen den Fingern zusammen, damit es kein Geräusch gab. Ohne mich umzudrehen, schüttelte ich heftig den Kopf und hoffte, Desmond kapierte meine nachdrückliche Antwort.
    »Uh, uh«, stöhnte er, gerade laut genug für meine Ohren. »Ich komme …« Er kicherte über seine zweideutige Anspielung, dann prustete er los.
    »Desmond!«, quiekte Miss Radcliffe, und ihr Kopf hüpfte wie aufgezogen auf und nieder. »Was ist denn um Himmels willen los mit dir? Jetzt reicht es aber!«
    Desmond erhob sich und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er strich seine rotbraun-blaue Schulkrawatte glatt, dann zog er eine Braue hoch und bedachte Miss Radcliffe mit einem durchdringenden Blick aus grünen Augen. Da sie sich unmittelbar vor seinem Tisch aufgebaut hatte, eine Hand fest auf ihrer nicht vorhandenen Hüfte, standen sie sich jetzt fast in Augenhöhe gegenüber.
    »Es tut mir ja so leid, ich bitte Sie und die Klasse vielmals um Verzeihung …«, seine Stimme war samtweich wie Vanillepudding, »… aber Ruby ist schuld, sie lenkt mich so ab. Und ich bin nun mal ein heranwachsender Junge und kann mich nicht immer zurückhalten.« Er tätschelte seinen Schritt.
    Wie vom Donner gerührt wich Miss Radcliffe zurück.
    Die Klasse brach in schallendes Gelächter aus. Einige Jungen brüllten und applaudierten, als Desmond von einer knallroten Miss Radcliffe zum Büro des Direktors geführt wurde.
    Während sie ihn an mir vorbeidirigierte, hörte ich durch das Getöse seine Stimme: »Jetzt bist du mir was schuldig, Ruby! Bei all dem, was ich für dich auf mich nehme … Bis später, Schöne.« Er zwinkerte mir zu.
    Ich drehte den Kopf zum Fenster und versuchte das Gelächter und die spöttischen Rufe meiner Klassenkameraden zu überhören. Unsere Tischreihe stand entlang der großen Fenster, die auf eine kleine Parkanlage neben dem Schulhof hinausgingen. Ich konzentrierte michauf einen Gärtner in verblichenem blauen Overall, der sich gerade nach den Griffen einer mit Unkraut beladenen Schubkarre bückte. Er trug einen breitrandigen Strohhut, der aussah, als hätte er
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