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Die Farben der Freundschaft

Titel: Die Farben der Freundschaft
Autoren: Linzi Glass
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hätte, dass es so für uns endet. Für dich, Ruby.«
    »Hör auf, Vater!«, sagte ich energisch. »Du hast Menschen das Leben gerettet, du hast unschuldig Verhaftete aus dem Gefängnis freibekommen. Du hast dich immer eingesetzt für das, woran du glaubst.« Ich nahm seine Hand. » Alles moet verby gaan , Daddy. Das sagt Loretta immer. Alles geht vorbei.«
    »Was bin ich für ein Glückspilz, dass ich zwei so bemerkenswerte Frauen in meinem Leben habe!« Er zog mich an sich, und ich spürte die Herzschläge in seiner von Sorgen gequälten Brust.
     
    Es war ein großes Flugzeug, nicht eine kleine Möwe, das uns über den Kontinent Afrika trug, und es stieg immer noch höher in den blauen Himmel, brachte uns immer weiter weg von all dem Vertrauten.
    Während des Flugs schrieb ich einen langen, gefühlvollen traurigen Brief an Johann und versprach ihm, in ein paar Tagen von New York aus wieder zu schreiben. Mir fiel ein Gedicht über einen tapferen Krieger ein, das wir in der Schule gelernt hatten; ich schrieb es auf eine Karte für Julian und hoffte, dass es durch Mutter den Weg zu ihm finden würde. Von den Ereignissen der vergangenen Tage war ich völlig erschöpft, und ich lehnte mich an Vater, der neben mir saß, und schlief ein. Vielleicht wäre ich ja beim Aufwachen zu Hause und läge in meinem Bett; Sonnenlicht würde durch die leichten Vorhänge fallen, das Geräusch von Mutters Pantoffeln auf dem Teppich würde mich begrüßen, wenn sie hereinkam und mir eine Tasse warmen Tee brachte. Aber als ich erwachte, brummten nur eintönig die Flugzeugmotoren.
    Ich hielt mich an Vaters Arm fest, und er legte seine Hand über meine.
    »Alles wird gut werden, Ruby!«
    »Meinst du, Vater?«, fragte ich.
     
    Achtzehn Stunden später landeten wir in Amerika.

29
    AM 4. Juli stand ich mit Tausenden von Menschen auf dem Times Square und feierte Amerikas zweihundertsten Unabhängigkeitstag. Die meisten Leute trugen Rot-Weiß-Blau, viele waren aber auch nach der Mode und im Stil des achtzehnten Jahrhunderts gekleidet. Von jedem Gebäude hing die amerikanische Flagge, und Kinder wie Erwachsene schwenkten Nationalfähnchen in allen Größen. Ich stand neben Vater, dessen Kopf schon wieder von kurzen Stoppeln bedeckt war, und neben unserem neuen Hausgenossen Ezekiel, einem ANC-Mitglied, der jetzt im Exil in Brooklyn lebte.
    »Zweihundert Jahre Freiheit! Freiheit und Gerechtigkeit für alle!«, riefen die versammelten Menschen.
    Waren nicht erst knapp drei Wochen vergangen seit den Unruhen von Soweto? War ich wirklich schon vierzehn Tag in New York? Die Zeit hatte ein anderes Tempo angenommen, mal verging sie schnell, mal langsam, Augenblicke dehnten sich wie Stunden, und Stunden verflogen wie Sekunden. Alles kam und ging in merkwürdigen Zusammenballungen von Zeit und Raum. Ich hatte immer noch zu tun mit den überstürzten Veränderungen, die in meinem Leben stattgefunden hatten. Mir fehlte meine gewohnte Routine, und meine ungewisse Zukunft irritierte mich. Es war noch gar nicht lange her, da war ich morgens aufgewacht, hatte mich angezogen und war zur Schule geradelt. Auf dem Heimweg hatte ich nachmittags bei Mutter in der Galerie haltgemacht, hatte meine Hausaufgaben erledigt, Julian im Atelier besucht und abends mit meiner Familie gegessen. Es war eine Zeit gewesen, wie ich sie nie wieder erleben würde.
    »Das wird fantastisch werden!«, sagte Ezekiel begeistert zu Vater und mir. Er hatte einen Arm verloren während der Zeit, als er in einem Gefängnis von Pretoria in Einzelhaft saß, später hatten sie ihn dann mangels Beweisen freigelassen. Ein weißer Anwalt, ebenso politisch engagiert wie Vater, hatte ihn vertreten und ihm eine sichere Schiffspassage nach New York verschafft. Das war vor sechs Monaten gewesen. »So etwas werden wir nie wieder sehen!« Ezekiels leerer Ärmel hing schlaff herunter, mit der gesunden Hand schwenkte er eine kleine Amerikafahne.
    Menschen der unterschiedlichsten Rassen und Hautfarben standen zusammen: Schwarze, Weiße, Latinos, Europäer, Asiaten, Polen, Inder, Russen und andere. Sie hielten sich an den Händen, fielen einander um den Hals, wiegten sich gemeinsam zum Rhythmus der amerikanischen Nationalhymne, die jetzt aus den Lautsprechern rundum ertönte. Vater sah mich an. Seine Augen waren müde, tiefe Furchen hatten sich in seine Stirn gegraben.
    »Du magst doch Feuerwerk, Ruby?«
    Ich nickte, und schon explodierten die ersten glitzernden Farben am Nachthimmel. Es folgte eine zweite
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